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Notfallsanitäter muss nicht Wache putzen, Rasenmähen, Winterdienst machen AG-Oldenburg 2 Ca 508/18, LAG Hannover 10 Sa 470/19

 

[…]

Die Tätigkeiten weisen auch keinen Bezug zu denjenigen eines Notfallsanitäters auf. Anders
als etwa Ladetätigkeiten eines Kraftfahrers (Hess. LAG 13. Juni 1995 – 9 Sa 2054/94 – LAGE
§ 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49) kann vorliegend nicht erkannt werden, dass
es der Verkehrsanschauung entspräche, wenn ein Notfallsanitäter in der Rettungswache die
Toiletten reinigen, den Rasen mähen, Räum- und Streudienste leisten oder die Fenster putzen
müsste. Ebenso wenig gehört es seinem Tätigkeitsbild an, bei Abwesenheit des Wachleiters für
die Einhaltung der Sauberkeit und Ordnung in der Rettungswache Sorge zu tragen, sofern er
der dienstälteste Arbeitnehmer ist.

[…]

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Geregelter Feierabend auch im Rettungsdienst – Landesarbeitsgericht Sachsen 2 Sa 430/01

Die Dienstzeit eines Rettungsassistenten ist (hier: nach 12 Stunden Dienst und sechs Minuten vor Dienstende) verlängert sich nicht deshalb und ohne zeitliche Grenze, weil sein Arbeitgeber mit der Durchführung von Notfallrettung unter Einhaltung einer bestimmten Hilfsfrist beauftragt ist (ähnlich LAG Baden-Württemberg vom 23.11.2000 – 4 Sa 81/00 -, AuR 2001, 512, 513).


Sächsisches Landesarbeitsgericht IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Sa 430/01

Verkündet am 23. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht – Kammer 2 – durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht … als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn … und Herrn … auf die mündliche Verhandlung vom 09.01.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 21.03.2001 – 1 Ca 1011/01 – teilweise abgeändert:

Die Klage wird hinsichtlich des Ausspruches zu Ziff. 2) in dem angefochtenen Urteil abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/4, der Beklagte 3/4.

Revisionszulassung: keine.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen und hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung sowie um Prozeßbeschäftigung.

Der am … geborene Kläger ist verheiratet und für zwei Kinder unterhaltspflichtig. Seit dem 01.07.1994 ist er bei dem Beklagten beschäftigt, zuletzt als Rettungsassistent. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt ca. 3.800,00 DM.

Dem Beklagten ist als privater Hilfsorganisation die Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport übertragen. Er betreibt u. a. die Rettungswache …. Dieser ist der Kläger zugewiesen.

Der Kläger war am 01.12.2000 gemeinsam mit dem Rettungsassistenten … zum Nachtdienst eingeteilt. Dieser begann am 01.12.2000 um 19.00 Uhr und sollte am 02.12.2000 um 7.00 Uhr enden.

Am 02.12.2000 gegen 6.54 Uhr befanden sich der Kläger und … nach einem Einsatz in … auf dem Rückweg zur Rettungswache …. Mit an Bord des Rettungstransportwagens (RTW) war der diensthabende Notarzt. In der Ortslage … verließen sie die Bundesstraße 6, um in der dortigen Bäckerei private Einkäufe zu tätigen. Während das Fahrzeug stand, wurde mittels Piepsers ein Einsatzauftrag angekündigt. Im RTW wurden alle für den Einsatz erforderlichen Daten mitgeteilt und der Auftrag durch den Arbeitnehmer …, der sich als erster wieder im Fahrzeug befunden hatte und an diesem Tag als Fahrer tätig war, angenommen. Der Kläger nahm im hinteren Teil des RTW Platz, da der Notarzt zwischenzeitlich den Beifahrersitz eingenommen hatte. Der Einsatzort befand sich in …. Für die Fahrt dorthin wurde nicht die kürzeste, teilweise aber über Nebenstraßen führende Strecke, sondern der wesentlich längere Weg über … über die B 6 und die B 98 gewählt.

Beide Rettungsassistenten entschlossen sich, in … einen „fliegenden Wechsel“ mit der für die Tagesschicht zuständigen Besatzung des RTW durchzuführen. Der Arbeitnehmer … bereitete diesen vor, indem er während der Fahrt per Handy die in der Wache schon bereitstehende Mannschaft der Tagesschicht über den beabsichtigten Wechsel sowie den in … durchzuführenden Einsatz informierte.

Der Wechsel wurde dann wie geplant durchgeführt, wobei jedoch auch der Notarzt ausstieg. Der Rettungseinsatz in … wurde durch die nachfolgende RTW-Besatzung ausgeführt.

Besonderheiten bezüglich des Dienstablaufes wurden vom Kläger nicht dokumentiert.

Beim Beklagten ist es üblich, daß die Dienstzeiten der RTW-Besatzungen nahtlos aneinander anschließen. Vorkehrungen für Rettungsaufträge, die kurz vor Dienstschluß einer RTW-Besatzung erteilt werden – wie beispielsweise überlappende Dienstzeiten oder das Vorhalten einer Ersatzmannschaft – gibt es nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung nicht.

Am 12.12.2000, den der Beklagte als den Tag der Kenntnisnahme von den Vorgängen am 02.12.2000 angibt, führte der Geschäftsführer des Beklagten im Beisein der Betriebsratsvorsitzenden eine telefonische Anhörung des sich im Urlaub befindlichen Klägers zum Ablauf seines Dienstes am 02.12.2000 durch.

Mit Schreiben vom 13.12.2000 wurde der Kläger bis auf weiteres vom Dienst beurlaubt.

Der bei dem Beklagten errichtete Betriebsrat wurde mit Schreiben vom 13.12.2000 zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers angehört. Am 19.12.2000 antwortete der Betriebsrat, daß er die Anhörung zur Kenntnis genommen habe und sich nicht in der Lage sehe, sich ein abschließendes Urteil zu bilden.

Mit Schreiben vom 21.12.2000, dem Kläger zugegangen am 22.12.2000, sprach der Beklagte mit Wirkung zum 22.12.2000 die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger aus und erklärte vorsorglich eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zum 31.03.2001. Zur Begründung wurde u. a. hingewiesen auf die Durchführung eines privaten Einkaufes während der Dienstzeit, die Übernahme eines nicht durchgeführten Rettungseinsatzes, die Inkaufnahme einer erheblichen Verlängerung der Hilfsfrist durch die Wahl eines weiteren Fahrtweges unter Rückkehr zur Rettungswache sowie die unterlassene Dokumentation der Besonderheiten während des Dienstablaufes.

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit seiner am 09.01.2001 bei dem Arbeitsgericht Bautzen eingegangenen Klage gewandt.

Mittlerweile ist dem Kläger von dem Beklagten wegen strittiger Arbeitsverweigerung eine weitere Kündigung erklärt worden, die jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Der Kläger hat vorgetragen, daß der Kauf von Lebensmitteln zum Verzehr während des Dienstes vom Beklagten erlaubt und auch gängige Praxis sei. Im übrigen sei aus hygienischen Gründen die Aufbewahrung und der Verzehr von Lebensmitteln im RTW verboten.

Der nach … gewählte Weg sei zwar länger, aber zeitbezogen und wegen der Witterungsverhältnisse sicherer gewesen, da die kürzere Strecke über Nebenstraßen sowie einen steilen Berg geführt hätte und bei 1 ° Celsius mit Bodenfrost gerechnet werden mußte. Er hätte ebenfalls den längeren Weg gewählt.

Weiter hat der Kläger vorgetragen, daß fliegende Schichtwechsel bei dem Beklagten üblich seien. In der fraglichen Nachtschicht sei ein Wechsel aufgrund fiebriger Beschwerden des Arbeitnehmers … auch erforderlich gewesen.

Bezüglich der Hilfsfrist von zehn Minuten hat der Kläger darauf hingewiesen, daß diese aufgrund der Entfernung unabhängig von der Fahrstrecke und einem evtl. Wechsel ohnehin nicht hätte eingehalten werden können.

Der Kläger hat vorgebracht, daß es beim Beklagten keine Anweisung dazu gebe, was dokumentationspflichtige Vorkommnisse seien. Auch sei diesbezüglich nie eine Überprüfung durchgeführt worden.

Nach Ansicht des Klägers liegen keine Kündigungsgründe vor, auch eine Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausgehen. Der Ausspruch der Kündigung sei unverhältnismäßig, da keine vorherige Abmahnung erfolgt sei.

Die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratsanhörung hat er im einzelnen bestritten.

Der Kläger hat zuletzt den Antrag gestellt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 21.12.2000, zugegangen am 22.12.2000, nicht aufgelöst wurde;

2. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis auch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 21.12.2000, zugegangen am 22.12.2000, nicht aufgelöst wird;

3. den Beklagten zu verurteilen, ihn für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen zu Ziffer 1 bis 2 zu den im Arbeitsvertrag vom 01.07.1994 geregelten Arbeitsbedingungen als Rettungsassistent bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach dem Vortrag des Beklagten sei die Wahl des längeren Anfahrtsweges nach … nicht durch Witterungsverhältnisse bedingt gewesen. Die Temperaturen hätten bei 2 ° Celsius gelegen und ein Winterdienst sei nicht erforderlich gewesen. Die Auswahl des Weges habe nur auf dem Wunsch nach Beendigung des Dienstes beruht.

Jedes Vorkommnis, das zur Verlängerung der Hilfsfrist führe, sei dokumentationspflichtig.

Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei nicht zumutbar, da der Kläger die arbeitsvertragliche Pflicht, die Hilfeleistung in kürzest möglicher Zeit zu erbringen, aus eigennützigen Motiven nur zur Sicherung eines pünktlichen Dienstendes verletzt habe. Bei der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, daß sich durch das Verhalten des Klägers der therapiefreie Intervall verlängert habe und ihm aufgrund seiner Ausbildung bewußt gewesen sein müsse, daß dadurch das Leben des Notfallpatienten gefährdet werde. Eine Abmahnung sei wegen der Schwere des Pflichtverstoßes entbehrlich gewesen.

Mit Urteil vom 21.03.2001 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Bezüglich des Einkaufs und des Vorwurfs der Nichtdokumentation von Besonderheiten des Dienstablaufes hat das Arbeitsgericht schon das Bestehen entsprechender Pflichten nicht feststellen können. Im Hinblick auf die Wahl des Fahrtweges sei keine Pflichtverletzung durch den Kläger vorgekommen, da dieser nur Mitfahrer gewesen sei. Selbst wenn man eine diesbezügliche Mitentscheidungsmöglichkeit des Klägers unterstelle, könne aufgrund der Umstände nicht von einer Ermessensüberschreitung ausgegangen werden.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 19.04.2001 zugestellte Urteil am 11.05.2001 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung bis 11.07.2001 am 10.07.2001 begründet.

Der Beklagte verteidigt unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen die ausgesprochene Kündigung.

Er weist auf § 2 Abs. 2 Satz 3 des Sächsischen Rettungsdienstgesetzes und Ziffer 5.2 des Sächsischen Landesrettungsdienstplanes hin, wonach die Hilfsfrist bis zum Eintreffen am Einsatzort nur zehn bzw. zwölf Minuten betragen dürfe. Daraus ergäbe sich, daß auch dann, wenn diese Frist nicht eingehalten werden könne, schnellstmöglich Hilfe zu leisten sei. Diese Pflicht zur Notfallversorgung träfe die Besatzung des RTW an sich, unabhängig davon, wer Fahrer sei.

Bezüglich des Einkaufs in der Bäckerei ist der Beklagte der Ansicht, daß es zumindest unverhältnismäßig sei, einen solchen sieben Minuten vor Dienstschluß zu tätigen. Der Kläger hätte dies nach Dienstende erledigen können.

Ein Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB sei gegeben, da der Kläger sich außerordentliche Pflichtwidrigkeiten habe zuschulden kommen lassen. Zum einen läge ein Verstoß des Klägers im Leistungsbereich vor, denn die Durchführung eines Notfalleinsatzes auch nach Dienstende gehöre zu den Grundlagen der Notfallmedizin. Zum anderen sei der Vertrauensbereich betroffen. Die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit sei vom Kläger überwiegend außerhalb der Rettungswache zu erbringen, weshalb er, der Beklagte, darauf vertrauen können müsse, daß Einsätze ordnungsgemäß durchgeführt werden.

Im Rahmen der Interessenabwägung müsse beachtet werden, daß der Rettungsdienst eine öffentliche Aufgabe sei, weswegen eine mittelbare Anwendung von § 8 Abs. 1 Satz 1 des Bundesangestelltentarifvertrages in Betracht komme. Danach habe jeder Mitarbeiter zu berücksichtigen, daß die Öffentlichkeit an das Verhalten eines Bediensteten im öffentlichen Dienst einen strengeren Maßstab anlege.

Nach Ansicht des Beklagten sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen, weil der Vertrauensbereich gestört sei und der Kläger gewußt haben müsse, daß sein Verhalten vertragswidrig sei.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen vom 21.03.2001 – 1 Ca 1011/01 – abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger bezieht sich auf sein Vorbringen aus erster Instanz.

Er legt eine an die Rettungswachen … und … gerichtete Hausmitteilung des Beklagten aus dem Jahre 1996 vor, worin die Besorgung der Tagesverpflegung durch die Mitarbeiter während des Dienstes bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen erlaubt wurde.

Der Kläger weist darauf hin, daß für den Einsatz in … aufgrund der räumlichen Entfernung vorrangig die Rettungswachen … und … zuständig gewesen wären.

Nach Ansicht des Klägers müsse im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden, daß aufgrund der fehlerhaften Organisation der Schichtwechsel durch den Beklagten vorprogrammiert sei, daß die Rettungsmannschaften Einsätze über ihren ohnehin schon langen Dienst hinaus durchführen müssen.

Der Kläger weist unter Beweisantritt noch einmal auf die Üblichkeit eines fliegenden Wechsels bei dem Beklagten hin.

Hierauf erwidert der Beklagte, er bestreite, daß ein Besatzungswechsel nach Übernahme des Einsatzes bei Notfalleinsätzen regelmäßig von ihm geduldet werde.

Wegen des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist nur insoweit begründet, als mit ihr die Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen in dessen Ausspruch zu Ziffer 2 begehrt wird. Denn der Anspruch auf Prozeßbeschäftigung ist durch die Folgekündigung untergegangen.

Im übrigen ist die Berufung unbegründet, da die zulässige Kündigungsschutzklage insgesamt begründet ist:

I.

Das Arbeitsverhältnis wurde durch keine der beiden streitgegenständlichen Kündigungen aufgelöst.

1.

Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ist unwirksam.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dies ist gegeben, wenn der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden, eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergibt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.

a) Ein Kündigungsgrund an sich liegt insbesondere vor, wenn eine Partei des Arbeitsvertrages ihre Vertragspflichten in schwerwiegender Weise verletzt.

Eine solche Verletzung von Vertragspflichten liegt hier in der Annahme des Rettungseinsatzauftrages für … und nachfolgender Durchführung des Besatzungswechsels ohne Information der Rettungsleitstelle über den geplanten Wechsel.

Zu den Aufgaben des Klägers als Rettungsassistent zählt die Durchführung von Notfallrettungseinsätzen, was schon aus dem Berufsbild des Gesetzes über den Beruf der Rettungssanitäter und des Rettungsassistenten (Rettungsassistentengesetz vom 10.07.1989, BGBl I S. 1384) – dort in § 3 als Ausbildungsziel formuliert – folgt. Notfallrettung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 des Sächsischen Rettungsdienstgesetzes (Gesetz über Rettungsdienst, Notfallrettung und Krankentransport für den Freistaat Sachsen vom 07.01.1994, GVBl. S. 1261) die Durchführung von lebensrettenden Maßnahmen bei Notfallpatienten, die Herstellung ihrer Transportfähigkeit und ihre unter fachgerechter Betreuung erfolgende Beförderung in ein für die weitere Versorgung geeignetes Krankenhaus. Dabei sind Notfallpatienten Kranke oder Verletzte, die sich in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht umgehend medizinische Hilfe erhalten. Aus diesen Besonderheiten ergibt sich, daß entsprechende Einsätze in möglichst kurzer Zeit durchzuführen und Verzögerungen zu vermeiden sind. Dies wird unterstrichen durch die Aufstellung einer Hilfsfrist von zehn Minuten in § 2 Abs. 2 Satz 3 des Sächsischen Rettungsdienstgesetzes. Sind erhebliche Verzögerungen bei der Einsatzdurchführung aufgrund der besonderen Umstände zu besorgen, so ist entweder die Übernahme des Auftrages unter Angabe der Gründe abzulehnen oder die Rettungsleitstelle bei Auftragsübernahme, spätestens aber bei Erkennbarkeit erheblicher Verlängerung der Hilfsfrist über die Gründe der Verzögerung zu unterrichten. Die Leitstelle hat dann die Möglichkeit, den Einsatz eines anderen, unter Berücksichtigung der gemeldeten Verzögerung evtl. schnelleren Rettungsmittels zu disponieren.

Vorliegend wurde der Rettungsauftrag für … angenommen und auf dem Weg dorthin ein Besatzungswechsel durchgeführt. Dies führte zu einer zeitlichen Verzögerung der wegen räumlicher Entfernung nicht einhaltbaren Hilfsfrist, da für den Wechsel ein längerer Weg erforderlich war, der zumindest in der Abfahrt von der B 6 zur Rettungswache … und zurück zur Straße bestand. Auch der Wechsel selbst beanspruchte Zeit. Von dem geplanten fliegenden Wechsel wurde die Rettungsleitstelle nicht informiert, vielmehr erfolgte die Vorbereitung des Schichtwechsels über ein privates Handy, womit die Möglichkeit des Einsatzes anderweitiger Rettungsmittel durch die Leitstelle aus der Hand gegeben wurde. Erschwerend kommt hinzu, daß dem Notarzt aufgrund des Wechsels Gelegenheit zum Verlassen des Wagens gegeben wurde, was dieser auch genutzt hat. Damit war das Hilfspotential durch Eigenmächtigkeit erheblich verringert.

Der streitige Vortrag des Klägers, daß eine mit Fieber verbundene Erkrankung des … der Grund für den Wechsel gewesen sei, ändert nichts am Vorliegen einer Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, da auch in einem solchen Fall die Besatzung des RTW zu einer Information der Leitstelle bzw. sogar zur Ablehnung des Auftrages verpflichtet gewesen wäre.

Hinsichtlich des Einkaufs in der Bäckerei in … ist ein Vertretungsverstoß vom Beklagten nicht hinreichend dargelegt.

Dieser hat nur vorgetragen, daß ein solcher Einkauf nicht gestattet sei. Dem ist der Kläger mit Beweisangeboten entgegengetreten mit dem Vortrag, daß Einkäufe von Lebensmitteln zum eigenen Verzehr während des Dienstes vom Beklagten erlaubt und auch gängige Praxis seien. Da aus hygienischen Gründen Lebensmittel im RTW weder aufbewahrt noch verzehrt werden dürften, seien Einkäufe im Hinblick auf die Dienstzeit von ca. zwölf Stunden auch erforderlich. Dieser Vortrag des Klägers wird untermauert durch die vorgelegte Hausmitteilung des Beklagten, worin dieser den Mitarbeitern der genannten Wachen den Einkauf während des Dienstes ausdrücklich erlaubt hat. Deshalb spielt auch der Zeitpunkt des Einkaufes keine Rolle.

Eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten im Hinblick auf die unterlassene Dokumentation von Besonderheiten im Dienstablauf kann nicht festgestellt werden. Der Beklagte hat nicht dargelegt, woraus sich eine solche vom Kläger bestrittene Dokumentationspflicht ergeben solle.

Als Pflichtverletzung wurde vom Beklagten des weiteren die Wahl des längeren Anfahrtsweges zum Einsatzort in … über die Bundesstraßen angeführt.

Hierbei ist zwischen den Parteien streitig, ob die Entscheidung für den längeren Weg durch ungünstige Witterungsverhältnisse, Bodenfrost und schlechter beräumte Nebenstraßen gerechtfertigt ist. Jedoch kann dies dahinstehen, denn selbst wenn man zugunsten des Beklagten unterstellt, daß die vom Kläger vorgetragenen Witterungsverhältnisse nicht vorgelegen haben, könnte die Wahl des Anfahrtsweges über die B 6 zumindest unter dem Aspekt der Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Daher bedarf es auch keiner Entscheidung, ob den Kläger als Mitfahrer überhaupt eine Verantwortung bezüglich der Auswahl des Fahrtweges trifft.

b) Die auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Interessenabwägung ergibt, daß eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Beklagten nicht besteht.

In die Abwägung sind die konkreten Umstände des Einzelfalles wie z. B. Schwere und Folgen der Handlung, Verschulden, Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums und die Dauer einer beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit einzubeziehen.

Der Kläger ist seit 1994 bei dem Beklagten tätig; bisher gab es keine Beschwerden über seine Arbeit.

Zur Begründung seines Interesses an der Lösung des Arbeitsverhältnisses wurde vom Beklagten vorgetragen, daß durch das Verhalten des Klägers der therapiefreie Intervall zwischen Meldung des Notfalles und Eintreffen des Rettungsmittels verlängert und die Hilfsfrist von zehn bzw. zwölf Minuten gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 des Sächsischen Rettungsdienstgesetzes bzw. Ziffer 5.2 des Landesrettungsdienstplanes überschritten wurde.

Dies ist zutreffend. Allerdings hätte aufgrund der räumlichen Entfernung die Hilfsfrist auch ohne Wechsel und bei Wahl des kürzesten Weges nicht eingehalten werden können.

Vom Beklagten wird im übrigen verkannt, daß die genannten Vorschriften ebenso wie die von ihm herangezogenen Grundsätze der Notfallrettung nur im Verhältnis zwischen ihm als dem gemäß § 6 Abs. 1 des Sächsischen Rettungsdienstgesetzes mit der Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport beauftragten Unternehmer und dem Landkreis als Träger des Rettungsdienstes gelten.

Für das Innenverhältnis zwischen dem Beklagten und dem Kläger und damit auch als Maßstab für die Frage nach einer Kündbarkeit sind die Bestimmungen des Arbeitsvertrages maßgeblich.

Zwar ist die Durchführung von Notfallrettung, der immanent ist, daß sie schnell geschehen muß, Aufgabe des Klägers in seiner Eigenschaft als Rettungsassistent. Jedoch ist er wie jeder Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung nur innerhalb der dem Arbeitsvertrag zu entnehmenden zeitlichen Grenzen seines Dienstes zur Arbeitsleistung verpflichtet. Am 02.12.2000 endete die Dienstzeit des Klägers um 7.00 Uhr. Sechs Minuten davor erreichte ihn der Einsatzauftrag. Bei Durchführung des Auftrages mußte mit einer wesentlichen Verlängerung der Arbeitszeit über den eigentlichen Dienstschluß hinaus, vermutlich um Stunden, gerechnet werden. Eine solche Verlängerung war dem Kläger nach zwölfstündigem Dienst nicht mehr zumutbar. Unabhängig vom etwaigen Vorliegen einer Erkrankung des … war nach zwölf Stunden Nachtdienst eine Übermüdung der RTW-Besatzung nicht auszuschließen. Die Durchführung von hochkonzentrierten Notfalleinsätzen erfordert jedoch im Interesse des Patienten und der Allgemeinheit eine Mannschaft, die nicht grenzenlos zur Arbeit herangezogen wird.

Würde die Ansicht des Beklagten, wonach Notfalleinsätze auch nach Dienstschluß jederzeit und unabhängig von deren Dauer durchzuführen seien, zutreffen, würde es sich beim Dienst einer RTW-Besatzung um einen solchen mit offenem Ende handeln. Der Beklagte selbst konnte in der Berufungsverhandlung keine Grenzen für die Zumutbarkeit der Durchführung von Einsätzen nennen.

Es spricht somit alles dafür, daß der Einsatz aus arbeitsvertraglichen (arbeitszeitrechtlichen) Gründen hätte abgelehnt werden dürfen.

Für den Vorrang der arbeitsvertraglichen Festlegung der Dienstzeit streitet in diesem Zusammenhang die in § 6 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes zum Ausdruck gekommene Wertung des Gesetzgebers, wonach Nachtarbeit nicht länger als acht bis zehn Stunden betragen darf, wovon Ausnahmen besonderer Rechtfertigung und Begründung bedürfen.

Gegen ein überwiegendes Lösungsinteresse des Beklagten ist anzuführen, daß die Kollision zwischen Einhaltung der Hilfsfrist und dem Dienstende der RTW-Besatzung aus der Betriebsorganisation des Beklagten resultiert. So sind keine überlappenden Dienstzeiten vorgesehen, vielmehr schließen die Dienste der RTW-Besatzungen nahtlos aneinander an. Für Einsätze, die das Dienstende der Rettungshelfer überschreiten, sind ersichtlich keine Vorkehrungen getroffen. Dies schließt ein – wenn auch untechnisch gemeint – organisatorisches Mitverschulden des Beklagten nicht aus (s. ähnlich hierzu LAG Baden-Württemberg vom 23.11.2000 – 4 Sa 81/00 -, AuR 2001, 512, 513).

Soweit der Beklagte auf die aus § 22 Abs. 1 des Rettungsdienstgesetzes folgende Pflicht zur Notfallrettung hinweist, ist ihm entgegenzuhalten, daß diese ihn als den mit den Aufgaben des Rettungsdienstes beauftragten Unternehmer trifft. Auch ist es nach § 6 Abs. 2, § 21 Abs. 1 des Sächsischen Rettungsdienstgesetzes seine Pflicht, den Betriebsablauf entsprechend den Erfordernissen des Rettungsdienstes zu organisieren. Eine Pflicht, über ihre Arbeitszeit hinaus Notfallrettung zu betreiben, ergibt sich daraus jedenfalls nicht für die Arbeitnehmer des Beklagten (vgl. auch LAG Baden-Württemberg vom 23.11.2000, a. a. O.).

Die strafrechtliche Würdigung des klägerischen Verhaltens wiederum ist ausschließlich Problem des Klägers.

Soweit der Beklagte dem Kläger die Eigenmächtigkeit seines Handelns vorwirft, ist zuzugeben, daß eine Abstimmung des Wechsels mit der Rettungsleitstelle den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers entsprochen hätte. Jedoch ist zu beachten, daß nach dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten in der Berufungsverhandlung ein Hinweis auf das Dienstende vermutlich nicht zu einer Befreiung vom Rettungsauftrag durch die Leitstelle geführt hätte.

Auch ist der mit Beweisantritt unterlegte Vortrag des Klägers in die Überlegungen einzubeziehen, wonach fliegende Wechsel beim Beklagten seit Jahren gängige Praxis seien und nie zu Beanstandungen geführt hätten. Im Hinblick auf die beim Beklagten liegende Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der die Kündigung begründenden Tatsachen sowie des Nichtvorliegens der von dem Arbeitnehmer vorgebrachten Rechtfertigungsgründe ist die Einlassung des Beklagten kein ausreichender Vortrag. Dieser hatte nur vorgebracht, er bestreite, daß ein Besatzungswechsel nach Übernahme eines Auftrages bei Notfalleinsätzen von ihm regelmäßig geduldet werde.

Der Ansicht des Beklagten, daß entsprechend § 8 BAT besondere Rücksichtspflichten der Arbeitnehmer auf das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers bestünden, ist entgegenzuhalten, daß die Vorschrift hier nicht anwendbar ist. Abgesehen davon gehört der Beklagte nicht zum öffentlichen Dienst, sondern ist ein privatrechtlicher Verein.

Die Wahl eines möglicherweise längeren Anfahrtsweges war nur die Folge eines arbeitsrechtlich letztlich ablehnbaren Auftrages. Sie kann daher nicht lösungsbegründend herangezogen werden.

c) Unabhängig von dem Vorstehenden wurde bei Ausspruch der außerordentlichen Kündigung das Ultima-Ratio-Prinzip nicht beachtet. Es wäre eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, eine Abmahnung sei wegen der Schwere des Pflichtverstoßes und der Betroffenheit des Vertrauensbereiches nicht erforderlich gewesen.

Dem ist nicht so.

Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich auch die Kammer anschließt, unterliegt die Prüfung des Erfordernisses einer Abmahnung bei Störungen im Vertrauensbereich auch den Grundsätzen, die in Bezug auf Störungen im Leistungsbereich aufgestellt wurden, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers handelt und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Danach ist eine Abmahnung entbehrlich, wenn es um besonders schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei dem eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. In solchen Fällen müsse dem Arbeitnehmer bewußt sein, daß er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setze (vgl. BAG vom 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 -, EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 47).

Vorliegend wurde durch die RTW-Besatzung ein Einsatzauftrag angenommen und auf indirektem Weg zum Einsatzort ein fliegender Besatzungswechsel durchgeführt, ohne die Rettungsleitstelle über den geplanten Wechsel zu informieren. Damit wurde die Möglichkeit der Entsendung eines anderen Rettungsmittels durch die Leitstelle abgeschnitten, da diese sich auf die sofortige Durchführung des Auftrages ohne Umwege verlassen konnte und mußte. Allerdings konnte und mußte der Kläger nicht damit rechnen, daß der Beklagte sein arbeitsvertragliches Weisungsrecht im Ergebnis in einem Umfang auf einen Dritten (Träger der Leitstelle) übertragen hat, der Einsätze ohne Rücksicht auf arbeitsvertragliche Bindungen und ohne Remonstrationsmöglichkeit zuweist. Das ist für einen Rettungsassistenten mit der persönlichen Struktur des Klägers ohne vorherige diesbezügliche Klarstellung (e. g. Abmahnung) nicht ohne weiteres erkenn- und hinnehmbar.

d) Nach dem Vorstehenden sind Überlegungen dazu, ob die Kündigung auch aus anderen Gründen unwirksam ist, entbehrlich.

2.

Die vorsorglich ausgesprochene ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Klägers zum 31.03.2001 ist mangels sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam.

Für die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sind solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände erforderlich, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes eine Kündigung als angemessen erscheinen lassen.

Ein Grund zur Kündigung an sich, d. h. ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles liegt hier in der Übernahme des Rettungsauftrages und Durchführung eines fliegenden Wechsels vor Erreichen des Einsatzortes, ohne die Rettungsleitstelle vorher darüber informiert zu haben.

Jedoch ist der Ausspruch der ordentlichen Kündigung gegenüber dem Kläger nicht verhältnismäßig. Aus den schon bei Prüfung der außerordentlichen Kündigung angeführten Gründen wäre auch vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen, woran es aber fehlt.

Die Abwägung der Interessen der Parteien des Arbeitsvertrages spricht ebenfalls gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung. Auch wenn man berücksichtigt, daß es bei der ordentlichen Kündigung nicht um eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses geht, erscheint aus den gleichen Erwägungen wie bei der außerordentlichen Kündigung der Ausspruch der ordentlichen Kündigung hier nicht als angemessen. Wegen der Einzelheiten der Interessenabwägung wird auf die Darlegungen im Rahmen der Prüfung der außerordentlichen Kündigung verwiesen.

Im Hinblick auf die eben dargestellten Gründe für die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung können die vom Kläger darüber hinaus geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe dahinstehen.

II.

Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung besteht nicht mehr.

Ein gekündigter Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist bzw. den Zugang der fristlosen Kündigung hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers der Beschäftigung nicht entgegenstehen. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen wird ausgegangen, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder in erster Instanz die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wurde.

Auch ein entstandener Anspruch auf Prozeßbeschäftigung entfällt allerdings etwa dann, wenn vom Arbeitgeber eine weitere, auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützte Kündigung ausgesprochen wird, die nicht offensichtlich unwirksam ist. Besteht die Möglichkeit, daß die weitere Kündigung wirksam ist, entsteht zusätzliche Ungewißheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, die das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiegen läßt.

Vom Beklagten wurde gegenüber dem Kläger eine erneute Kündigung ausgesprochen. Diese ist nicht offensichtlich unwirksam. Als Kündigungsgrund wurde Arbeitsverweigerung angegeben. Zwar handelte es sich bei der dem Kläger angebotenen Arbeit nicht um eine Tätigkeit als Rettungsassistent. Jedoch beruft der Beklagte sich darauf, daß die Zuweisung einer anderen Tätigkeit vom Arbeitsvertrag gedeckt und auf einen Monat begrenzt war.

B.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Mißerfolg des Beschäftigungsantrages, den der Kläger nicht mit Blick auf die Folgekündigung für erledigt erklärt hat, führt zu einer Kostenlast von 1/4, so daß auf den Beklagten mit 3/4 der Rest der Kosten entfällt.

Dieses Urteil ist nicht anfechtbar. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 a ArbGG durch Beschwerde angefochten werden.

Ende der Entscheidung

Arbeitsverweigerung wegen Überschreitung der Höchstarbeitszeit LArbG Baden-Württemberg 4 Sa 81/00

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 23.11.2000, 4 Sa 81/00

Arbeitsverweigerung wegen Überschreitung der Höchstarbeitszeit

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26. Juni 2000 — 5 Ca 643/00 — wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Worte „zu unveränderten Arbeitsbedingungen“ unter Ziffer 2. des Tenors des angefochtenen Urteils ersatzlos entfallen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Wert des Gegenstands im zweiten Rechtszug: 12.000,00 DM

Anschnallpflicht im RTW

Tod einer Patientin bei Unfall eines Rettungswagens nahe Plau am See – Staatsanwaltschaft klagt Rettungsassistenten an

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Schwerin hat das Amtsgericht Parchim gegen einen 27jährigen Rettungsassistenten aus Wandlitz einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung erlassen. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, am 06.12.2013 auf der B 198 nahe Plau am See im Rahmen eines Rettungseinsatzes infolge von Unachtsamkeit von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Straßenbaum geprallt zu sein. Bei dem Unfall kam eine 82jährige Patientin ums Leben, ein Notarzt und ein Rettungssanitäter wurden schwer verletzt. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war die Patientin nur mit einem Fuß-, Brust- und Beckengurt, nicht aber – wie vorgeschrieben – auch mit Schultergurten gesichert. Sie rutschte beim Aufprall unter den angelegten Gurten durch und erlitt so schwere Verletzungen, dass sie daran noch am Unfallort verstarb. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte für die Einhaltung der Anschnallpflicht im Rettungswagen verantwortlich war.

Die Witterungsverhältnisse am Unfalltag haben nach den Ermittlungen beim Tatgeschehen keine Rolle gespielt.

Quelle: https://www.mv-justiz.de/cgi-bin/gerichte/presse/details.pl?kenner=sta&pos=13

Anspruch einer Krankenschwester, nicht für Nachtschichten eingeteilt zu werden

Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung ua. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Klägerin am 12. Juni 2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an. Bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts im November 2012 wurde sie nicht beschäftigt. Sie erhielt zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld.

Die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage war beim Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts, ebenso wie in den Vorinstanzen, erfolgreich. Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Die Vergütung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie die Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Beklagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 30. Mai 2013 – 5 Sa 78/13

Abmahnung wegen Nichtteilnahme an einer im Zusammenhang mit einer Fortbildungsmaßnahme durchgeführten „Leistungskontrolle“ Text Aktenzeichen: 8 Sa 355/12 4 Ca 3346/11 ArbG Koblenz Entscheidung vom 23.01.2013

Aktenzeichen:
8 Sa 355/12
4 Ca 3346/11
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 23.01.2013

Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4.7.2012, Az.: 4 Ca 3346/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entfernung zweier Abmahnungen aus seiner Personalakte.

Der Kläger ist seit dem 14.02.1979 bei der Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält u.a. folgende Bestimmung:

„Der Angestellte verpflichtet sich, die erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen zu besuchen mit dem Ziele, die aufgabenorientierten Fähigkeiten für die Berufsausübung zu erwerben.“

Vom 15.03.2011 bis 17.03.2011 nahm der Kläger auf Weisung der Beklagten an einer Fortbildungsveranstaltung teil, in der Kenntnisse über „erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ vermittelt werden sollten. Gegenstand dieser Fortbildungsveranstaltung waren folgende Maßnahmen der medizinischen Notfallversorgung:

– Intubation
– Supraglottische Atemhilfe
– Periphere Venenpunktion
– Applikation ausgewählter Medikamente und Infusionslösungen
– Defibrilation.

Teil dieser Fortbildungsveranstaltung ist auch eine Prüfung bzw. Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“. Der Kläger weigerte sich wiederholt, an dieser Leistungskontrolle teilzunehmen.

Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 08.08.2011 eine Abmahnung folgenden Inhalts:

Abmahnung

Sehr geehrter geehrter Herr A.,

bei der jährlichen rettungsdienstlichen Fortbildungsveranstaltung, an welcher sie vom 15.03.2011 bis 17.03.2011 auf Aufforderung teilnahmen, haben Sie die Teilnahme an der Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ verweigert, obwohl diese Bestandteil der Fortbildungsmaßnahme ist und Ihre Teilnahme hieran wie die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme insgesamt angeordnet war.

Mit Schreiben vom 08.04.2011 wurden Sie daher aufgefordert, an einem von zwei Ihnen alternativ angebotenen Nachprüfungsterminen an der Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ teilzunehmen. Beide Termine haben Sie ungenutzt verstreichen lassen.

Dieses Verhalten stellt eine wiederholte Arbeitsverweigerung dar und kann nicht hingenommen werden. Wegen dieser gravierenden Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten erteile ich Ihnen hiermit eine Abmahnung.

Kommen Sie weiteren Aufforderungen, wie für den uneingeschränkten Einsatz in Ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als Rettungsassistent erforderlich, an der Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ teilzunehmen, wiederum nicht nach, müssen Sie mit schwerwiegenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis zur Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses rechnen.
…“

Nachdem sich der Kläger in der Folgezeit erneut weigerte, an der betreffenden Leistungskontrolle teilzunehmen, erteilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 21.03.2012 eine weitere Abmahnung folgenden Inhalts:

2. Abmahnung

Sehr geehrter Herr A.,

wiederum haben Sie die Teilnahme an der Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ am 08.03.2012 verweigert.

Aufgrund dessen werden Sie erneut abgemahnt.

Sollten Sie diese Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ nochmals verweigern, sehen wir uns veranlasst, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen.
…“

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.07.2012 (Bl. 110 – 113 d.A.).

Der Kläger hat beantragt:
Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung des Klägers vom 8. August 2012 aus seiner Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung des Klägers vom 21. März 2012 aus seiner Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.07.2012 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 – 10 dieses Urteils (= Bl. 113 – 118 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 16.07.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.08.2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 17.09.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 17.10.2012 begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Maßnahmen, die Gegenstand der Fortbildungsveranstaltung gewesen seien, von § 3 RettAssG umfasst seien, denn dort sei nur generell die Rede von lebensrettenden Maßnahmen bei Notfallpatienten. Da die Beklagte selbst keine Möglichkeit sehe, ihm gegenüber die Anwendung der in der Fortbildungsveranstaltung erlernten Maßnahmen auch in der Praxis zu fordern, bestehe auch gerade keine vertragliche Verpflichtung seinerseits, die in der Fortbildungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse auch tatsächlich umzusetzen. Weder der Arbeitsvertrag noch die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen sähen vor, dass er sich Leistungskontrollen unterziehen müsse. Soweit das Arbeitsgericht die Leistungskontrolle als sinnvollen Annex zur Weiterbildungspflicht ansehe, so bedeute dies noch lange nicht, dass dadurch eine bindende vertragliche Verpflichtung zur Teilnahme an der Leistungskontrolle bestehe. Die Anordnung, an einer Fortbildung nebst Leistungskontrolle teilzunehmen, entspreche auch nicht billigem Ermessen. Da die Beklagte selbst die Auffassung vertrete, die fehlende Leistungskontrolle stehe seinem Einsatz als Fahrer von Rettungsfahrzeugen nicht entgegen, sei es unbillig, wenn sie trotzdem von ihm die Teilnahme an der Leistungskontrolle verlange. Die Beklagte verhalte sich insoweit widersprüchlich.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 17.10.2012 (Bl. 137 – 141 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 08.08.2011 und vom 21.03.2012 aus seiner Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 19.11.2012 (Bl. 146 – 151 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:
I. 
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung abgewiesen.

II.  Die auf Entfernung der Abmahnungsschreiben vom 08.08.2011 und vom 21.03.2012 aus der Personalakte des Klägers gerichtete Klage ist nicht begründet.

Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung kann sich in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB ergeben. Bei der Abmahnung, die in § 314 Abs. 2 BGB gesetzlich verankert wurde, handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rügefunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individual-rechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen. Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtliche Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr  besteht (BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 606/08NZA 2009, 1111). Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt (BAG v. 07.09.1988 – 5 AZR 625/87AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung). Allerdings ist eine Abmahnung auch dann aus der Personalakte zu entfernen, wenn sie statt eines konkret bezeichneten Fehlverhaltens nur pauschale Vorwürfe enthält (BAG v. 09.08.1984 – 2 AZR 400/83AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Entfernung der beiden Abmahnungsschreiben aus seiner Personalakte.

Weder die Abmahnung vom 08.08.2011 noch die vom 21.03.2012 enthalten unzutreffende Tatsachenbehauptungen. Die Richtigkeit der dort wiedergegebenen Tatsachen wird vom Kläger nicht in Abrede gestellt.

Die Abmahnungen beruhen auch nicht auf einer fehlerhaften Bewertung des Verhaltens des Klägers. Der im Abmahnungsschreiben vom 08.08.2011 ausdrücklich erhobene und im Abmahnungsschreiben vom 21.03.2012 zumindest konkludent wiederholte Vorwurf, die Weigerungen des Klägers, an der Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ teilzunehmen, stellten eine Arbeitsverweigerung und damit zugleich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, trifft zu.

Der Arbeitgeber ist im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO grundsätzlich berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, an Schulungen teilzunehmen, soweit diese Schulungen bzw. Fortbildungsmaßnahmen der Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit förderlich sind, d.h. soweit die im Rahmen der Schulung vermittelten Kenntnisse typischerweise im vereinbarten Tätigkeitsbereich einzusetzen sind (vgl. LAG Hessen v. 11.04.2007 – 8 Sa 1279/06 – zitiert nach Juris; Preis, in: Frankfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Aufl., § 106 GewO Rd.Ziff. 14). Vorliegend haben die Parteien im Arbeitsvertrag darüber hinaus ausdrücklich vereinbart, dass der Kläger verpflichtet ist, die für den Erwerb der aufgabenorientierten Fähigkeiten für die Berufsausübung erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen zu besuchen. Zu diesen Fortbildungsmaßnahmen gehört zweifellos auch die Schulung in der Zeit vom 15.03. bis 17.03.2011, zu welcher der Kläger entsandt wurde und in der Kenntnisse über „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ vermittelt wurden. Gemäß § 3 RettAssG entspricht es dem Berufsbild eines Rettungsassistenten, u.a. am Notfallort bis zur Übernahme der Behandlung durch den Arzt lebensrettende Maßnahmen bei Notfallpatienten durchzuführen, die Transportfähigkeit solcher Patienten herzustellen, die lebenswichtigen Körperfunktionen während des Transports zum Krankenhaus zu beobachten und aufrechtzuerhalten sowie kranke oder verletzte Personen unter sachgerechter Betreuung zu befördern. Hieraus ergibt sich für den Rettungsassistenten zugleich eine Garantenstellung, die den Arztvorbehalt des HeilPrG verdrängt (vgl. Heuchemer, Bolsinger, NZA-RR 2009, 408; vgl. auch ArbG Koblenz v. 07.11.2008 – 2 Ca 1567/08, NZA-RR 2009 419).

Die in der Fortbildungsveranstaltung vom 15.03.2011 bis 17.03.2011 vermittelten Kenntnisse der medizinischen Notfallversorgung (Intubation, Supraglottische Atemhilfe, Periphere Venenpunktion, Applikation ausgewählter Medikamente und Infusionslösungen, Defibrilation) dienen daher zweifellos der Ausübung der dem Berufsbild eines Rettungsassistenten entsprechenden Tätigkeiten. Es handelte sich somit eine „erforderliche Ausbildungsveranstaltung“ im Sinne der im Arbeitsvertrag getroffenen Regelung. Hieraus ergibt sich zugleich die Berechtigung der Beklagten, den Kläger zur Teilnahme an der betreffenden Ausbildungsmaßnahme aufzufordern sowie dessen Verpflichtung, dieser Aufforderung Folge zu leisten.

Die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme umfasste zugleich auch die Pflicht, weisungsgemäß sich der Leistungskontrolle „Erweiterte Versorgungsmaßnahmen“ zu unterziehen. Unstreitig ist diese Leistungskontrolle nämlich Teil der betreffenden Fortbildungsmaßnahme. Im Übrigen stellt sich die Überprüfung, ob die vermittelten Kenntnisse vom Arbeitnehmer erlernt wurden, auch als sinnvoller und im allgemeinen üblicher Annex einer Fortbildungsmaßnahme dar. Der Arbeitgeber hat regelmäßig ein berechtigtes Interesse an der Feststellung und Dokumentierung, dass der Arbeitnehmer die ihm bei einer Fortbildungsmaßnahme vermittelten und für seine Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse beherrscht. Der Arbeitnehmer seinerseits ist verpflichtet, diese Kenntnisse zu erwerben und vorzuhalten, was durch eine entsprechende Leistungskontrolle nachgewiesen werden kann. Dies gilt insbesondere im höchst verantwortungsvollen Tätigkeitsbereich eines Rettungsassistenten, der im Notfall vor Eintreffen eines Arztes lebensrettende Maßnahmen ergreift.

Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung der Beklagten gegenüber dem Kläger, sich im Rahmen der Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung auch der dazu gehörenden Leistungskontrolle zu unterziehen, nicht billigem Ermessen i.S.v. § 106 GewO entspricht, sind nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, besteht ein berechtigtes Interesse der Beklagten bezüglich der Teilnahme des Klägers an der betreffenden Fortbildungsveranstaltung nebst Leistungskontrolle. Es ist in diesem Zusammenhang – entgegen der Ansicht des Klägers – ohne Belang, dass es der Beklagten bei Fehlen von Kenntnissen des Klägers im Bereich der Notfallversorgung möglich wäre, ihn nunmehr (ausschließlich) als Fahrer einzusetzen. Ein überwiegendes Interesse des Klägers, sich der Leistungskontrolle zu verweigern, ist nicht gegeben. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, ob und welche Nachteile der Kläger im Falle des Nichtbestehens der Leistungskontrolle zu befürchten hätte. Diesbezüglich käme allenfalls in Betracht, dass der Kläger (vorübergehend, d.h. bis zu einer erfolgreichen Wiederholungsprüfung) von der Beklagten lediglich als Fahrer eingesetzt würde. Insoweit macht der Kläger jedoch selbst geltend, dass ein Einsatz als Fahrer ebenfalls eine vertragsgemäße Beschäftigung darstellt.

Die streitbefangenen Abmahnungen verstoßen auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will. Eine Abmahnung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil der Arbeitgeber über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte, etwa weil dem Arbeitnehmer ein bewusster Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten fern lag. Es ist der Beklagten daher vorliegend keinesfalls verwehrt, durch Erteilung von Abmahnungen deutlich zu machen, dass sie die Weigerung des Klägers, wirksame arbeitgeberseitige Weisungen zu befolgen, nicht hinnimmt.

III.  Nach alledem war die Berufung des Klägers mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Quelle: Justiz Rheinland-Pfalz

 

Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichtes vom 14.11.12

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der Arbeitgeber berechtigt, von dem Arbeitnehmer die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer schon von dem ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen. Die Ausübung dieses Rechts steht im nicht an besondere Voraussetzungen gebundenen Ermessen des Arbeitgebers.

Die Klägerin ist bei der beklagten Rundfunkanstalt als Redakteurin beschäftigt. Sie stellte für den 30. November 2010 einen Dienstreiseantrag, dem ihr Vorgesetzter nicht entsprach. Eine nochmalige Anfrage der Klägerin wegen der Dienstreisegenehmigung am 29. November wurde abschlägig beschieden. Am 30. November meldete sich die Klägerin krank und erschien am Folgetag wieder zur Arbeit. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin auf, künftig schon am ersten Tag der Krankmeldung einen Arzt aufzusuchen und ein entsprechendes Attest vorzulegen. Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Widerruf dieser Weisung begehrt und geltend gemacht, das Verlangen des Arbeitgebers auf Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Tag der Erkrankung bedürfe einer sachlichen Rechtfertigung. Außerdem sehe der für die Beklagte geltende Tarifvertrag ein derartiges Recht nicht vor.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos. Die Ausübung des dem Arbeitgeber von § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG eingeräumten Rechts steht im nicht gebundenen Ermessen des Arbeitgebers. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass gegen den Arbeitnehmer ein begründeter Verdacht besteht, er habe in der Vergangenheit eine Erkrankung nur vorgetäuscht. Eine tarifliche Regelung steht dem nur entgegen, wenn sie das Recht des Arbeitgebers aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausdrücklich ausschließt. Das war vorliegend nicht der Fall.

 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. November 2012 – 5 AZR 886/11 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 14. September 2011 – 3 Sa 597/11 –

Mehraufwendungen für die Verpflegung eines Rettungsassistenten & Fahrer eines Noteinsatzfahrzeugs

In Ergänzung zu dem hier beschriebenen Urteil des Bundesfinanzhof von Mitte 2011 zur regelmäßigen Arbeitsstätte gibt es zwei sich anschließende und ergänzende Urteile, die die Aussage dieses Urteils konkretisieren:

Auch ein Rettungsassistent kann nicht mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander innehaben (Anschluss an Senatsentscheidungen vom 9.6.2011, VI R 36/10, BFHE 234 S. 160, BStBl 2012 II S. 36, und VI R 55/10, BFHE 234 S. 164, BStBl 2012 II S. 38; gegen BFH-Urteil vom 14.9.2005, VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53).

Das Urteil kann hier nachgelesen werden:

https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&sid=29aca2a61d29786633af609fb0ca677b&nr=25747&pos=0&anz=1

 

Soweit ein städtischer Feuerwehrmann auch verpflichtet ist, Bereitschaftsdienste als Fahrer eines Noteinsatzfahrzeugs eines nicht städtischen Krankenhauses zu leisten, übt er eine Auswärtstätigkeit aus.

Das Urteil kann hier nachgelesen werden:

https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&sid=2cda4bb0c6bd34ee0bbdd64655aa09ce&nr=25748&pos=0&anz=1

Neue Rechtsprechung des BFH zur regelmäßigen Arbeitsstätte

Der Bundesfinanzhof hat Mitte 2011 seine Rechtsprechung zur regelmäßigen Arbeitsstätte radikal geändert. Demnach liegt eine regelmäßige Arbeitsstätte nur noch an dem Ort vor, an dem der Arbeitnehmer den Mittelpunkt seiner dauerhaften beruflichen Tätigkeit hat. Das ist der Ort, an dem er seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen hat und den er daher fortlaufend aufsucht. Daher gilt:

  • Ein Arbeitnehmer kann nur eine einzige regelmäßige Arbeitsstätte beim gleichen Arbeitgeber haben, nicht mehrere (BFH vom 9.6.2011, VI R 55/10, BFH/NV 2011 S. 1764).
  • Hat keiner der Tätigkeitsstätten des Arbeitnehmers eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber anderen Tätigkeitsorten, hat der Arbeitnehmer gar keine regelmäßige Arbeitsstätte (BFH vom 9.6.2011, VI R 36/10, DStR 2011 S. 1654).
  • Muss ein Arbeitnehmer täglich nur zur Kontrolle den Betriebssitz seines Arbeitgebers aufsuchen, um danach zu seinen eigentlichen Einsatzorten wie Filialen usw. zu fahren, stellt der Betriebssitz keine regelmäßige Arbeitsstätte dar (BFH vom 9.6.2011, VI R 58/09, DStR 2011 S. 1655).

Diese neue Rechtsprechung begünstigt insbesondere Außendienstmitarbeiter, Kundenberater und Bezirksleiter, die mehrere Filialen ihres Arbeitgebers betreuen, ferner EDV-Techniker, die an mehreren Standorten ihres Arbeitgebers eingesetzt werden, Busfahrer und Kraftfahrer, die ihr Fahrzeug an verschiedenen Depots bzw. Standorten übernehmen, sog. Springer, die in Zweigstellen eingesetzt werden, an denen Personal fehlt, und Rettungssanitäter, die nicht nur auf der Rettungswache, sondern auch im Krankenhaus ein Bereitschaftszimmer haben.

Fahren diese Personengruppen zu Einsatzorten, die keine regelmäßige Arbeitsstätte sind, dürfen sie ihre Fahrtkosten mit der Reisekostenpauschale (für Hin- und Rückfahrt) anstelle der Entfernungspauschale (nur für Hinfahrt) ansetzen und ferner Verpflegungsmehraufwand bei mehr als 8-stündiger Abwesenheit und ggf. Übernachtungskosten abrechnen. Werden die Fahrten mit dem Dienstwagen durchgeführt, muss – im Gegensatz zu Fahrten zur regelmäßigen Arbeitsstätte – kein geldwerter Vorteil versteuert werden.

Betroffene Steuerpflichtige, denen das Finanzamt die Reisekosten nicht anerkennt, obwohl ihr Tätigkeitsort nach neuer Rechtsprechung keine regelmäßige Arbeitsstätte ist, sollten Einspruch unter Hinweis auf die neuen Urteile einlegen. Ob die Finanzverwaltung die neue Rechtsprechung anerkennt, ist aber noch unklar.

Quelle: WISO-Steuersparbuch 2012

Unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters bei altersabhängiger Staffelung der Urlaubsdauer – § 26 TVöD

Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer

Gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG beträgt der nach § 1 BUrlG jedem Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr zustehende bezahlte Erholungsurlaub mindestens 24 Werktage. Anders als § 26 Abs. 1 Satz 2 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) knüpft die gesetzliche Regelung damit die Dauer des Urlaubs nicht an das Lebensalter des Arbeitnehmers. Diese Tarifvorschrift regelt, dass bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage beträgt. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 TVöD ist für die Berechnung der Urlaubsdauer das Lebensjahr maßgebend, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG iVm. § 1 AGG dürfen Beschäftigte ua. nicht wegen ihres Alters benachteiligt werden, wobei eine unmittelbare Benachteiligung vorliegt, wenn eine Person wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Die am 27. Oktober 1971 geborene und seit 1988 beim beklagten Landkreis beschäftigte Klägerin wollte festgestellt haben, dass ihr in den Jahren 2008 und 2009 und damit schon vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres über den tariflich vorgesehenen Urlaub von 29 Arbeitstagen hinaus jeweils ein weiterer Urlaubstag zugestanden hat. Sie hat gemeint, die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verstoße gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters. Das Arbeitsgericht hat ihrer Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des beklagten Landkreises das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zur Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Klägerin steht für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein weiterer Urlaubstag als Ersatzurlaub zu. Die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD benachteiligt Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar und verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters. Die tarifliche Urlaubsstaffelung verfolgt nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen. Ein gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich auch kaum begründen. Der Verstoß der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD angeordneten Staffelung der Urlaubsdauer gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters kann nur beseitigt werden, indem die Dauer des Urlaubs der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise „nach oben“ angepasst wird, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. März 2010 – 20 Sa 2058/09

Betriebliches Eingliederungsmanagement – Überwachungsrecht des Betriebsrats

Betriebliches Eingliederungsmanagement – Überwachungsrecht des Betriebsrats

Der Arbeitgeber hat für Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind, die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) zu prüfen (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). In diesem Verfahren soll geklärt werden, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Ob der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Einleitung des bEM nachkommt, hat der Betriebsrat zu überwachen (§ 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist nicht von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig.

Im Betrieb eines auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrttechnik tätigen Arbeitgebers besteht eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung des bEM. Nach dieser erhält der Betriebsrat quartalsweise ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig waren. Der Arbeitgeber möchte die Namen dieser Arbeitnehmer nur mit deren Einverständnis offen legen.

Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dem Antrag des Betriebsrats entsprochen, mit dem dieser die Angabe sämtlicher Arbeitnehmer verlangt hat, die für die Durchführung eines bEM in Betracht kommen. Der Arbeitgeber durfte deren namentliche Benennung nicht vom Einverständnis der Arbeitnehmer abhängig machen. Er hat ein bEM allen Beschäftigten anzubieten, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen sind. Für die Ausübung seines gesetzlichen Überwachungsrechts muss der Betriebsrat diesen Personenkreis kennen; einer namentlichen Benennung stehen weder datenschutzrechtliche Gründe noch das Unionsrecht entgegen.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10 –
Vorinstanz: Arbeitsgericht Bonn, Beschluss vom 16. Juni 2010 – 5 BV 20/10 –

Kein Zeitzuschlag für die Arbeit am Ostersonntag und Pfingstsonntag in Sachsen-Anhalt nach § 10 Abs 1 Buchst d TV-Versorgungsbetriebe

Tariflicher Feiertagszuschlag für Oster- und Pfingstsonntag

Sieht ein Tarifvertrag Zuschläge für Feiertagsarbeit vor, so wird dieser Zuschlag regelmäßig nur für die Arbeit an gesetzlichen Feiertagen ausgelöst.

Der Kläger ist als Anlagenfahrer/Monteur im Schichtdienst für die Beklagte in Sachsen-Anhalt tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung. Nach § 10 Abs. 1 Buchst. d TV-V erhält der Arbeitnehmer für Feiertagsarbeit einen Zuschlag je Stunde von 135 v. H. Der tarifliche Sonntagszuschlag beträgt 25 v. H.

Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass für die Arbeit am Oster- und Pfingstsonntag ein Zeitzuschlag von 135 v. H. zu zahlen ist.

Der Zehnte Senat hat wie die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Ein tariflicher Anspruch besteht nicht, weil in Sachsen-Anhalt Ostersonntag und Pfingstsonntag nach dem Landesrecht gesetzlich nicht als Feiertage bestimmt sind. Anhaltspunkte für ein weitergehendes tarifliches Verständnis des „Feiertags“ nach dem TV-V bestehen nicht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2011 – 10 AZR 347/10 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt vom 18. Februar 2010 – 3 Sa 186/09 –

Feuerwehr haftet nicht für Kollision mit anderem PKW bei einer Einsatzfahrt

Landgericht Magdeburg: 10 O 1964/10 – 10. Zivilkammer – Staatshaftung

Die 10. Zivilkammer des Landgerichts hat mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Einzelrichters vom 28.04.2011 die Klage einer PKW Besitzerin gegen die Feuerwehr in Magdeburg abgewiesen.

Am 13.08.2009 gegen 11.45 Uhr befuhr die Klägerin mit ihrem PKW „Mini“ den sogenannten Magdeburger Ring in Fahrtrichtung Nord ab der Auf­fahrt Halberstädter Str./Ecke Bußgeldstelle. Der Magdeburger Ring ist eine kreuzungsfreie Strasse mit jeweils zwei Richtungsfahrbahnen, mit einer angeordneten Höchstgeschwindigkeit mit Tempo 80.

Auf dem Ring fuhren zu diesem Zeitpunkt drei Feuerwehrfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn auf dem Weg zu einem Wohnungsbrand mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h.

Die Klägerin wollte nun auf der linken Spur das mittlere Fahrzeug überholen. Als die Feuerwehr verkehrsbedingt ebenfalls auf die linke Spur wechseln wollte kam es zu einer leichten Streifkollision, bei der am „Mini“ der Klägerin ein Schaden von rund 2.000 € entstand, den sie von der Feuerwehr ersetzt verlangt.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen, da sich nicht die Feuerwehr sondern die Klägerin falsch verhalten hat. Die Klägerin hätte schon nicht bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h, das mit etwa dieser Geschwindigkeit fahrenden Feuerwehrfahrzeug überholen dürfen. Überholen ist nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nur zulässig, wenn das überholende Fahrzeug deutlich schneller als das zu überholende fährt. Überdies hat die Klägerin nicht beachtet, dass Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn nach der StVO sofort freie Bahn zu verschaffen hat. Dies bedeutet, dass alle „normalen“ Fahrzeuge beiseite fahren, notfalls anhalten müssen, um freie Bahn zu schaffen „Beiseitefahren“ bedeutet aber mit Sicherheit nicht ein Feuerwehrfahrzeug im Einsatz zu überholen. Ein Überholen in dieser Situation führt zur Behinderung des Einsatzfahrzeuges und schafft neue Gefahrenquellen.

Übrigens: Ein weiterer Löschzug hatte hier den Einsatzort rechtzeitig erreicht, so dass es trotz des Unfalls zu keinen Beeinträchtigungen bei den Löscharbeiten kam.

Pressemitteilung des LG Magdeburg

Zugang einer Kündigung – Ehegatte als Empfangsbote

Zugang einer Kündigung bei Übergabe des Kündigungsschreibens an den Ehegatten außerhalb der Wohnung

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wird als Willenserklärung unter Abwesenden nach § 130 Abs. 1 BGB erst wirksam, wenn sie dem Kündigungsgegner zugegangen ist. Der Kündigende trägt das Risiko der Übermittlung und des Zugangs der Kündigungserklärung. Diese ist erst dann zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt ist, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Wird das Kündigungsschreiben einer Person übergeben, die mit dem Arbeitnehmer in einer Wohnung lebt und die aufgrund ihrer Reife und Fähigkeiten geeignet erscheint, das Schreiben an den Arbeitnehmer weiterzuleiten, ist diese nach der Verkehrsanschauung als Empfangsbote des Arbeitnehmers anzusehen. Dies ist in der Regel bei Ehegatten der Fall. Die Kündigungserklärung des Arbeitgebers geht dem Arbeitnehmer allerdings nicht bereits mit der Übermittlung an den Empfangsboten zu, sondern erst dann, wenn mit der Weitergabe der Erklärung unter gewöhnlichen Verhältnissen zu rechnen ist.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 3. Februar 2003 als Assistentin der Geschäftsleitung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung. Nach einem Konflikt verließ die Klägerin am 31. Januar 2008 ihren Arbeitsplatz. Mit einem Schreiben vom selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 29. Februar 2008. Das Kündigungsschreiben ließ sie durch einen Boten dem Ehemann der Klägerin überbringen, dem das Schreiben am Nachmittag des 31. Januar 2008 an seinem Arbeitsplatz in einem Baumarkt übergeben wurde. Der Ehemann der Klägerin ließ das Schreiben zunächst an seinem Arbeitsplatz liegen und reichte es erst am 1. Februar 2008 an die Klägerin weiter. Mit ihrer Klage wollte die Klägerin festgestellt wissen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht mit dem 29. Februar 2008, sondern erst nach Ablauf der Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende mit dem 31. März 2008 beendet worden ist. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Da das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 31. Januar 2008 der Klägerin noch am selben Tag zugegangen ist, ist das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB nach Ablauf der Kündigungsfrist von einem Monat zum 29. Februar 2008 beendet worden. Nach der Verkehrsanschauung war der Ehemann der Klägerin bei der Übergabe des Kündigungsschreibens am Nachmittag des 31. Januar 2008 Empfangsbote. Dem steht nicht entgegen, dass das Schreiben dem Ehemann der Klägerin an seinem Arbeitsplatz in einem Baumarkt und damit außerhalb der Wohnung übergeben wurde. Entscheidend ist, dass unter normalen Umständen nach der Rückkehr des Ehemanns in die gemeinsame Wohnung mit einer Weiterleitung des Kündigungsschreibens an die Klägerin noch am 31. Januar 2008 zu rechnen war.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Juni 2011 – 6 AZR 687/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 7. September 2009 – 2 Sa 210/09 –

Urlaubsgewährung – Freistellung im Vorgriff auf das kommende Urlaubsjahr – Auslegung der Freistellungserklärung des Arbeitgebers

Urlaub in der Kündigungsfrist

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG legt der Arbeitgeber den Urlaub zeitlich fest. Die Erklärung eines Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer unter Anrechnung auf dessen Urlaubsansprüche nach der Kündigung von der Arbeitsleistung freizustellen, ist nach den §§ 133, 157 BGB aus Sicht des Arbeitnehmers auszulegen.

Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Bankunternehmen, als Angestellter mit einem jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen beschäftigt. Mit Schreiben vom 13. November 2006 erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 31. März 2007. Gleichzeitig stellte sie den Kläger „ab sofort unter Anrechnung Ihrer Urlaubstage von Ihrer Arbeit unter Fortzahlung der Bezüge“ frei. In dem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess entschied das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Urteil, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet worden. Der Kläger macht Resturlaub aus dem Jahr 2007 geltend. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte habe ihm während der Kündigungsfrist neben dem aus 2006 resultierenden Urlaub allenfalls 7,5 Tage Urlaub für das Jahr 2007 gewährt. Dies entspreche dem Teilurlaub, den er nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2007 erworben habe. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Der Neunte Senat hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Freistellung des Arbeitnehmers zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub erfolgt durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Arbeitgebers. Die Erklärung muss für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennen lassen, in welchem Umfang der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllen will. Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitgebers. Denn als Erklärender hat er es in der Hand, den Umfang der Freistellung eindeutig festzulegen. Im Streitfall konnte der Kläger der Freistellungserklärung der Beklagten nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob die Beklagte ua. den vollen Urlaubsanspruch für das Jahr 2007 oder lediglich den auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2007 entfallenden Teilurlaubsanspruch erfüllen wollte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Mai 2011 – 9 AZR 189/10 –
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 27. August 2009 – 11/18 Sa 1114/08 –

Sachgrundlose Befristung – zeitliche Beschränkung des Vorbeschäftigungsverbots in § 14 Abs 2 S 2 TzBfG

Sachgrundlose Befristung und „Zuvor-Beschäftigung“

Der Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund bis zu zwei Jahre zu befristen, steht eine frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht entgegen, wenn diese mehr als drei Jahre zurückliegt.

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Das gilt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Eine „Zuvor-Beschäftigung“ im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht vor, wenn ein früheres Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. Das ergibt die an ihrem Sinn und Zweck orientierte, verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelung. Diese soll zum einen Arbeitgebern ermöglichen, auf schwankende Auftragslagen und wechselnde Marktbedingungen durch befristete Einstellungen zu reagieren, und für Arbeitnehmer eine Brücke zur Dauerbeschäftigung schaffen. Zum andern sollen durch das Verbot der „Zuvor-Beschäftigung“ Befristungsketten und der Missbrauch befristeter Arbeitsverträge verhindert werden. Das Verbot kann allerdings auch zu einem Einstellungshindernis werden. Seine Anwendung ist daher nur insoweit gerechtfertigt, als dies zur Verhinderung von Befristungsketten erforderlich ist. Das ist bei lange Zeit zurückliegenden früheren Beschäftigungen typischerweise nicht mehr der Fall. Hier rechtfertigt der Gesetzeszweck die Beschränkung der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien und die damit verbundene Einschränkung der Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers nicht. Die Gefahr missbräuchlicher Befristungsketten besteht regelmäßig nicht mehr, wenn zwischen dem Ende des früheren Arbeitsverhältnisses und dem sachgrundlos befristeten neuen Arbeitsvertrag mehr als drei Jahre liegen. Dieser Zeitraum entspricht auch der gesetzgeberischen Wertung, die in der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist zum Ausdruck kommt.

Die Klägerin war beim beklagten Freistaat aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags vom 1. August 2006 bis 31. Juli 2008 als Lehrerin beschäftigt. Während ihres Studiums hatte sie vom 1. November 1999 bis 31. Januar 2000 insgesamt 50 Stunden als studentische Hilfskraft für den Freistaat gearbeitet. Mit ihrer Klage hat sie sich gegen die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt.

Die Klage hatte vor dem Siebten Senat – ebenso wie schon in den Vorinstanzen – keinen Erfolg. Die mehr als sechs Jahre zurückliegende frühere Beschäftigung der Klägerin stand der sachgrundlosen Befristung ihres Arbeitsvertrags nicht entgegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. April 2011 – 7 AZR 716/09 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15. September 2009 – 7 Sa 13/09 –

Verfassungsbeschwerden gegen die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst erfolglos

In allen Bundesländern besteht derzeit ein bodengebundener Rettungsdienst, der Krankentransport und Notfallrettung umfasst, in öffentlicher Trägerschaft (öffentlicher Rettungsdienst). Die Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes obliegt vereinzelt der Feuerwehr, ist aber in den meisten Ländern auf private Hilfsorganisationen, wie u. a. das Deutsche Rote Kreuz, und auf private Unternehmen übertragen. Die rechtliche Gestaltung der Übertragung unterscheidet sich stark. Während teilweise nur ein öffentlicher Rettungsdienst vorgesehen ist, innerhalb dessen private Leistungserbringer mitwirken können (Einheits- oder Eingliederungsmodell), ist in anderen Ländern neben dem öffentlichen auch ein privater Rettungsdienst zulässig (duales System oder  Trennungsmodell).

Im Freistaat Sachsen bestand ursprünglich neben dem öffentlichen auch ein privater Rettungsdienst. Der öffentliche Träger des Rettungsdienstes übertrug durch öffentlichrechtlichen Vertrag die Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport auf private Hilfsorganisationen oder auf andere Unternehmer. Daneben konnten Unternehmer mit entsprechender Genehmigung zur Notfallrettung oder zum Krankentransport auch einen privaten Rettungsdienst im eigenen Namen, auf eigene Verantwortung und auf eigene Rechnung betreiben. Die Genehmigung war zu versagen, wenn zu erwarten war, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt wird (Funktionsschutzklausel).

Durch das Sächsische Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG), insbesondere durch den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen § 31 SächsBRKG, wurde für den Rettungsdienst der Wechsel vom dualen System zum Eingliederungsmodell vollzogen. Danach ist die Mitwirkung privater Rettungsunternehmen nur noch im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes möglich. Der öffentliche Träger des Rettungsdienstes überträgt ihnen nach Durchführung eines Auswahlverfahrens durch öffentlichrechtlichen Vertrag die Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports. Er vereinbart mit den Kostenträgern einheitliche Entgelte für den Rettungsdienst bzw. legt die Gebühren durch Satzung fest. Dem öffentlichen Träger des Rettungsdienstes obliegt ferner die Errichtung der Leitstellen, wobei es sich in der Regel um bereichsübergreifende Einrichtungen handelt, die Einsätze des Rettungsdienstes veranlasst und lenkt, die Feuerwehren alarmiert, deren Einsätze unterstützt und die Katastrophenschutzeinheiten alarmiert.

Vordringliches Ziel des neuen Gesetzes, das auch das bisherige Gesetz über den Brandschutz und die Hilfeleistung der Feuerwehren bei Unglücksfällen sowie das Gesetz über den Katastrophenschutz im Freistaat Sachsen ablöste, ist es, durch eine Einheitlichkeit in Organisation und Durchführung in allen Bereichen einen effizienten Schutz der Bevölkerung vor Bränden, Unglücksfällen, öffentlichen Notständen und Katastrophen zu gewährleisten.

Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden der beiden Beschwerdeführer, die in Sachsen private Rettungsdienstunternehmen betreiben, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts teilweise als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen. Die angegriffene Vorschrift verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten, insbesondere nicht in ihrer Berufsfreiheit. Die Neuordnung des Rettungsdienstes rechtfertigt sich aus der Verfolgung überragend wichtiger Gemeinwohlziele.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Unzulässig ist eine der Verfassungsbeschwerden insoweit, als sie sich auch gegen die Gestaltung des nach der neuen Regelung vorgesehenen
Auswahlverfahrens wendet, weil es der betreffenden Beschwerdeführerin zumutbar ist, den Vergaberechtsweg vor den Fachgerichten zu beschreiten, wenn eine für sie nachteilige Entscheidung im Auswahlverfahren ergehen sollte.

Im Übrigen sind beide Verfassungsbeschwerden unbegründet. Der Systemwechsel zu einem ausschließlich öffentlichen Rettungsdienst greift
zwar in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer ein. Denn für die Mitwirkung im öffentlichen Rettungsdienst ist nicht nur der Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrags mit dem Träger des Rettungsdienstes erforderlich; ein Interessent muss sich vielmehr zuvor in einem Auswahlverfahren gegen seine Mitbewerber durchgesetzt haben. Ein solches Auswahlverfahren findet aber nur statt, wenn und soweit ein Bedarf namentlich an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen besteht. Zudem können die privaten Unternehmer ihre Rettungsdienste nicht mehr auf der Grundlage eigener vertraglicher Vereinbarungen mit den Kostenträgern des Rettungsdienstes und den Krankenkassen erbringen.

Diese Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer sind jedoch gerechtfertigt. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Neuordnung des Rettungsdienstes legitime Gemeinwohlziele und durfte im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungs- und Prognosespielraums auch davon ausgehen, dass die angegriffene Regelung zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist.

Die mit der Neuregelung erstrebte Verbesserung des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung betrifft überragend wichtige Gemeinwohlbelange, die ohne den Eingriff in die Berufsfreiheit einer ernsthaften Gefährdung ausgesetzt wären. Durch die Eingliederung privater Unternehmen in den öffentlichen Rettungsdienst ist deren Zulassung nun vom Bedarf an Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeugen abhängig. Sie vermeidet daher das Entstehen von Überkapazitäten, die angesichts der hohen Investitions- und Vorhaltekosten einen Konkurrenzkampf unter den privaten Rettungsunternehmern befürchten lassen, der die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes in empfindlicher Weise stören würde.

Außerdem durfte der Gesetzgeber annehmen, dass die vollständige Überführung des Rettungsdienstes in öffentliche Trägerschaft zu einer generellen Vereinheitlichung des Schutzkonzepts aus Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz beiträgt und geeignet sowie erforderlich ist, zu einer effizienteren Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport beizutragen. Die Eingliederung erlaubt die Zusammenfassung behördlicher Zuständigkeiten und Befugnisse und gewährleistet so eine bessere Koordination der Einsätze von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie den Zugriff auf sämtliche im Einzelfall benötigte Ressourcen sowohl bei Alltagseinsätzen als gerade auch bei komplexen Unglücksfällen, in Großschadenslagen oder im Katastrophenfall. Im Rahmen eines ausschließlich staatlich organisierten Rettungsdienstes ist ferner eine flexible und einheitliche Planung der Leitstellen und Rettungswachen möglich, die auf bestehende Genehmigungen für private Unternehmer keine Rücksicht nehmen muss. So kann eine flächendeckende und fachgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Rettungsdienstleistungen unter Vermeidung unnötiger Doppelvorhaltungen leichter sichergestellt werden. Gerade bei größeren bereichsübergreifenden Einsätzen oder in Großschadenslagen ist eine schnellstmögliche und umfassende zentrale Koordinierung sämtlicher verfügbarer Rettungsmittel und Rettungskräfte offenkundig vorteilhaft. Die zuvor im dualen System geregelte Funktionsschutzklausel, wonach die Zulassung privater Unternehmen nur für den Fall erlaubt war, dass hierdurch die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht beeinträchtigt oder gefährdet wird, ist zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes nicht in gleich effizienter Weise geeignet. Denn sie vermag nicht zu einer Vereinheitlichung der Strukturen und Abläufe von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz sowie zu einer effizienteren Koordinierung der Rettungsdiensteinsätze beizutragen.

Die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer sind auch unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass die vollständige Eingliederung privater Anbieter in den öffentlichen Rettungsdienst durch die verbesserte Planbarkeit und die effizientere Koordinierung der Einsätze kostenaufwändige Doppelvorhaltungen personeller und sächlicher Rettungsmittel auszuschließen, zumindest aber zu reduzieren vermag. So vermindert sich die Zahl der Leitstellen, die außerdem noch kostengünstiger arbeiten können. Einsparpotentiale ergeben sich ferner durch die bessere Vernetzung des Rettungsdienstes mit Feuerwehr und Katastrophenschutz. Die organisatorische Zusammenfassung von Notfallrettung und Krankentransport im öffentlichen Rettungsdienst trägt ebenfalls zur Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems bei. Private Unternehmer sind im Unterschied zu öffentlichen Trägern nicht gezwungen, ihre Leistungen auch in wirtschaftlich unrentablen Gegenden anzubieten. Der öffentliche Rettungsdienst ist zur Geringhaltung der Kosten deshalb darauf angewiesen, dass Einnahmen aus tendenziell eher einträglichen Krankentransporten zum Ausgleich der Aufwendungen für die Bereitstellung eines umfassenden Rettungsdienstes und hier insbesondere zu den Aufwendungen für die Notfallrettung beitragen.

Schließlich ist der nunmehr geregelte Systemwechsel geeignet und erforderlich, das ebenfalls angestrebte Ziel eines transparenten und chancengleichen Zulassungsverfahrens zu erreichen. Nach der früheren Rechtslage bestand faktisch ein abgeschlossenes System der etablierten Anbieter; im öffentlichen Rettungsdienst waren die Verträge mit den Hilfsorganisationen, im privaten Rettungsdienst die Genehmigungen der Unternehmer regelmäßig verlängert worden. Demgegenüber ist nunmehr durch die Aufgabe der Trennung zwischen öffentlichem und privatem Rettungsdienst erstmals ein Wettbewerb zwischen Hilfsorganisationen und privaten Unternehmern um alle benötigten Kapazitäten zu gleichen Konditionen eröffnet worden; alle, insbesondere auch neue Bewerber, haben grundsätzlich die gleiche Chance, als Leistungserbringer ausgewählt zu werden.

Im Rahmen der Gesamtabwägung ist zu beachten, dass durch die Neuregelung den privaten Unternehmern der Zugang zur Tätigkeit im Rettungsdienst in Sachsen nicht schlechthin verwehrt ist; sie haben nach wie vor die Möglichkeit, sich in der Notfallrettung und im Krankentransport als Anbieter beruflich zu betätigen. Die dennoch verbleibenden Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit erscheinen angesichts des ihnen gegenüber stehenden überragend wichtigen Gemeinwohlziels eines effizienten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht unangemessen.

Die Neuregelung des Rettungsdienstes ist schließlich auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zu beanstanden. Durch das angegriffene Gesetz ist den Inhabern von Genehmigungen zur Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport eine vierjährige Übergangszeit eingeräumt worden, während der sie ihre Unternehmen nach der alten Rechtslage fortführen konnten. Nach Ablauf der vierjährigen Übergangsfrist ist es den Beschwerdeführern zumutbar, sich wie alle anderen Interessenten um den Abschluss eines solchen Vertrags in einem transparenten und chancengleichen Auswahlverfahren zu bewerben. Einen dauerhaften Bestandsschutz für ihre unternehmerische Tätigkeit im Rettungsdienst können sie nicht beanspruchen. Steht wie hier die Gesetzesintention einer unveränderten beruflichen Betätigung entgegen, so gebietet es der Vertrauensschutz nicht, den Betroffenen die Möglichkeit hierzu im bisherigen Umfang zu erhalten.

Beschluss vom 8. Juni 2010 – 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07

Tariflicher Feiertagszuschlag für Ostersonntag

Sieht ein Tarifvertrag Zuschläge für gesetzliche Feiertage vor, haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Zahlung eines Feiertagszuschlags für Ostersonntag. Ostersonntag ist kein gesetzlicher Feiertag. Die Kläger sind seit Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse findet der Manteltarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie Niedersachsen/Bremen Anwendung. Nach dessen § 5 Abs. 1 Buchs. f) ist für Arbeit an Feiertagen ein Zuschlag iHv. 175 % zu zahlen. Nach § 4 Abs. 5 MTV ist Feiertagsarbeit die an gesetzlichen Feiertagen geleistete Arbeit. In der Vergangenheit zahlte die Beklagte für die Arbeit am Ostersonntag stets einen Zuschlag iHv. 175 % und wies die Zahlung in den Lohnabrechnungen als Feiertagsvergütung aus. Im Jahre 2007 leistete sie nur den tariflichen Sonntagszuschlag iHv. 75 %. Mit ihrer Klage fordern die Kläger die Zahlung des höheren Feiertagszuschlags. Sie sind der Auffassung, Oster- und Pfingstsonntag seien in der christlichen Welt Feiertage. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein tariflicher Anspruch besteht nicht, weil Ostersonntag kein gesetzlicher Feiertag ist. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung scheidet ebenfalls aus. Die Beklagte erfüllte in der Vergangenheit aus Sicht der Belegschaft lediglich ihre vermeintliche tarifliche Verpflichtung, ohne übertarifliche Ansprüche zu begründen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. März 2010 – 5 AZR 317/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 3. März 2009 – 3 Sa 244/08

Ein zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führendes gesetzliches Beschäftigungsverbot setzt eine nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen eindeutige Regelung voraus.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Februar 2008 – 8 Sa 1592/07 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.

Die Beklagte führt Notfallrettungen und Krankentransporte durch. Der im Jahre 1973 geborene Kläger war bei ihr seit dem 1. Januar 2001 als Rettungsassistent beschäftigt. Er bezog zuletzt eine monatliche Vergütung von 1.738,12 Euro brutto.

Vom 27. Februar bis zum 17. März 2006 war der Kläger arbeitsunfähig krank geschrieben. Am 18. März 2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. April 2006. Sie warf dem Kläger vor, nach der Manipulation eines dienstlichen Telefons unerlaubt Privatgespräche geführt zu haben; außerdem habe der Kläger die Erkrankung nur vorgetäuscht und trotz eines angeblichen Bandscheibenvorfalls eigenhändig seinen privaten Umzug durchgeführt.

Der vom Kläger angestrengte Kündigungsrechtsstreit endete am 16. August 2006 mit folgendem Prozessvergleich:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung aus betrieblichen Gründen am 31.5.2006 beendet worden ist. 2. Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zum 31.5.2006 ordnungsgemäß ab und zahlt den sich ergebenden Betrag an den Kläger aus. 3. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Urlaubsanspruch des Klägers durch tatsächliche Gewährung in Natur erfüllt ist. 4. Mit Erfüllung des Vergleichs sind alle beiderseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt.“

Der Kläger verlangt Vergütung für die Zeit vom 18. März bis zum 31. Mai 2006 abzüglich der von der Bundesagentur für Arbeit geleisteten Zahlungen. Der Anspruch ergebe sich schon aus dem Prozessvergleich. Zudem habe sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden. Er, der Kläger, sei seiner gesetzlichen Fortbildungsverpflichtung für 2005 jedenfalls bis zum 26. Januar 2006 in vollem Umfang nachgekommen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.205,13 Euro brutto abzüglich 1.781,75 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Dezember 2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Vergleich sehe ausschließlich eine Verpflichtung zur Abrechnung vor. Die Abrechnung ergebe mangels Annahmeverzugs nichts zu Gunsten des Klägers. Der Kläger hätte im Rettungsdienst überhaupt nicht eingesetzt werden dürfen, weil er nicht alle vorgeschriebenen Fortbildungen absolviert habe. Eine andere Beschäftigungsmöglichkeit habe nicht bestanden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung stattgegeben.

I. Der Anspruch beruht auf den §§ 615 Satz 1, 611 Abs. 1 BGB iVm. §§ 293 ff. BGB und § 11 Nr. 3 KSchG.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand bis zum 31. Mai 2006. Die Beklagte kam durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in Annahmeverzug, ohne dass der Kläger die Arbeitsleistung anbieten musste, § 296 Satz 1 BGB. Die Höhe der geschuldeten Arbeitsvergütung und der anzurechnenden Leistungen steht außer Streit.

2. Eine den Annahmeverzug ausschließende Unmöglichkeit der Arbeitsleistung lag nicht vor.

a) Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Ein Arbeitnehmer ist leistungsunfähig iSv. § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten ausnahmslos nicht mehr verrichten kann. Ob es sich um gesundheitliche, rechtliche oder andere Gründe handelt, ist nicht maßgebend. Das Unvermögen kann etwa auf einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot oder auf dem Fehlen einer erforderlichen Erlaubnis beruhen (vgl. schon BAG 24. Juni 1960 – 1 AZR 96/58BAGE 9, 300, 301; 6. März 1974 – 5 AZR 313/73 – zu I 1 der Gründe, AP BGB § 615 Nr. 29; 18. Dezember 1986 – 2 AZR 34/86 – zu B II 2 der Gründe, AP BGB § 297 Nr. 2 = EzA BGB § 615 Nr. 53; 15. Juni 2004 – 9 AZR 483/03 – zu I 2, 3 der Gründe, AP BGB § 611 Bergbau Nr. 25; 3. November 2004 – 5 AZR 592/03BAGE 112, 299, 301; 8. November 2006 – 5 AZR 51/06 – zu I 2 der Gründe, AP BGB § 615 Nr. 120 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 17) .

b) Die Beklagte beruft sich auf § 5 Abs. 5 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (RettG NRW) vom 24. November 1992. Nach dieser Bestimmung hat das in der Notfallrettung und im Krankentransport eingesetzte nichtärztliche Personal jährlich an einer mindestens 30-stündigen aufgabenbezogenen Fortbildung teilzunehmen und dies nachzuweisen. Wird diese Voraussetzung nicht erfüllt, handelt es sich freilich nicht um einen Fall des fehlenden Leistungsvermögens.

aa) Soll eine Rechtsnorm das rechtliche Unvermögen zur Berufstätigkeit begründen, muss sie diese Rechtsfolge klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Die Voraussetzung für die Berufsausübung muss aus rechtsstaatlichen Gründen eindeutig geregelt sein. Unabhängig davon, ob ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl oder der Berufsausübung vorliegt, bedarf es einer vorhersehbaren und berechenbaren Grundlage hinsichtlich Voraussetzungen und Folgen. Nach dem Gebot der Rechtssicherheit ist im Zweifel kein die Berufstätigkeit als solche untersagendes Beschäftigungsverbot anzunehmen. Vielmehr muss der Betroffene eine derart einschneidend wirkende Rechtslage erkennen und sein Verhalten danach einrichten können (vgl. schon BVerfG 18. Dezember 1953 – 1 BvL 106/53BVerfGE 3, 225, 237; 30. Mai 1956 – 1 BvF 3/53BVerfGE 5, 25, 31; 17. November 1992 – 1 BvL 8/87BVerfGE 87, 234, 263; 9. April 2003 – 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01BVerfGE 108, 52, 75) .

bb) § 5 Abs. 5 RettG NRW regelt weder eine für den Zugang zur Berufstätigkeit erforderliche Erlaubnis noch eine sonstige Voraussetzung, deren Fehlen zu einem Beschäftigungsverbot führt. Das ergibt schon die Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut. Zwar handelt es sich um eine zwingende Verpflichtung, Folgen der Pflichtverletzung werden aber nicht aufgeführt. Sie sind auch keineswegs selbstverständlich. Fehlende oder unvollständige Fortbildung lässt das Personal nicht generell ungeeignet erscheinen.

Abgesehen von der für die Betroffenen nicht erkennbaren Rechtsfolge wären auch die Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverbot inhaltlich und zeitlich nicht hinreichend bestimmt. § 5 Abs. 5 RettG NRW unterscheidet nicht zwischen der Verletzung der Teilnahmepflicht und der Verletzung der Nachweispflicht und bestimmt nicht, wie der Nachweis zu führen ist. Einerseits können hier nicht prozessrechtliche Regelungen (zB §§ 138, 286 ff. ZPO) herangezogen werden, andererseits bedarf es nicht stets einer Urkundenvorlage. Offenbar soll es auf die Kenntnis und Überzeugung des Arbeitgebers ankommen. Darüber hinaus ist der Begriff der aufgabenbezogenen Fortbildung nicht eindeutig genug. Ein bestimmter Fortbildungskanon ist nicht vorgeschrieben. Unklar bliebe auch, ob schon die unvollständig oder (teilweise) nicht ordnungsgemäß absolvierte Fortbildung das Beschäftigungsverbot auslösen würde. Schließlich fehlte es an einem deutlichen zeitlichen Bezug. Selbst wenn man die Fortbildungspflicht auf das (volle) Kalenderjahr bezieht, blieben der Zeitpunkt des Eintritts eines Beschäftigungsverbots und die Bedeutung einer Nachholung einzelner Fortbildungsstunden zweifelhaft. So streiten die Parteien auch über die Bewertung einzelner Fortbildungsmaßnahmen, nämlich darüber, ob die Fortbildungen vom 17. Februar 2005 und vom 26. Januar 2006 „gleichzeitig gelten“ können.

Das Landesarbeitsgericht weist weiter zutreffend auf die Systematik des RettG NRW hin. § 4 RettG NRW regelt die an bestimmte Prüfungen, Zeugnisse oder Nachweise geknüpften Voraussetzungen für den Personaleinsatz. § 5 regelt zwingende Pflichten im Zusammenhang mit der Aufgabenerfüllung. Soweit eine Tätigkeit darüber hinaus verboten ist, enthält die Norm eindeutige Regelungen (Abs. 2: „darf nicht tätig werden“; Abs. 3: „darf … nicht einsetzen“) .

Sinn und Zweck der Fortbildungspflicht erfordern nicht ein – absolut wirkendes – Beschäftigungsverbot bei Defiziten der Fortbildung. Es ist nicht erkennbar, dass Eignung und Befähigung mit Ablauf des Kalenderjahres entfallen und die Tätigkeit dann „verboten“ sein soll. Vergleichbare Berufsgruppen unterliegen keinem Beschäftigungsverbot im Zusammenhang mit aufgabenbezogenen Fortbildungspflichten. Unabhängig davon, ob es aus rechtsstaatlichen Gründen (Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs) überhaupt statuiert werden kann, bedürfte es jedenfalls einer eindeutigen Bestimmung. Hieran fehlt es.

3. § 5 Abs. 5 RettG NRW regelt danach eine Pflicht des Arbeitnehmers, ohne die Folgen der Pflichtverletzung selbst zu bestimmen. Diese ergeben sich aus den allgemeinen Grundsätzen. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, es handele sich nicht nur um eine berufsrechtliche, sondern auch um eine arbeitsvertragliche, dem Arbeitgeber geschuldete Verpflichtung. Dafür spricht dessen Verantwortung als Träger der rettungsdienstlichen Aufgaben; ein öffentlich-rechtliches Kontrollverfahren gegenüber dem Personal ist nicht vorgesehen. Der Arbeitgeber kann deshalb die Nichteinhaltung der Fortbildungspflicht dem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gem. § 273 Abs. 1 BGB entgegenhalten. Das Zurückbehaltungsrecht gibt eine aufschiebende Einrede. Nur wenn der Arbeitgeber das Zurückbehaltungsrecht geltend macht, kann er die geschuldete Beschäftigung – und damit auch die Vergütungszahlung – verweigern. Daran ändert nichts der Umstand, dass er hierzu nach Verwaltungsvorschriften und vertraglich gegenüber seinem Auftraggeber verpflichtet ist. Nr. 9 des Runderlasses des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 21. Januar 1997 (MBl. NW 1997, 140) verbietet die Beschäftigung nicht aufgrund eines Gesetzes; als bloßer Verwaltungsregelung kommt der Bestimmung nicht die Bedeutung eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots zu. Vielmehr wird der Träger rettungsdienstlicher Aufgaben angehalten, die Nachweise gem. § 5 Abs. 5 RettG NRW zu verlangen.

Die Beklagte hat ein Zurückbehaltungsrecht weder ausdrücklich noch stillschweigend geltend gemacht. Sie hat die Beschäftigung bis zum 31. Mai 2006 nicht wegen einer unvollständigen Fortbildung, sondern allein wegen der außerordentlichen Kündigung verweigert. Anderenfalls hätte der Kläger der Einrede Rechnung tragen können und die ggf. noch fehlenden Fortbildungsstunden kurzfristig nachholen können. Rückwirkend kann das Zurückbehaltungsrecht nicht mehr ausgeübt werden, da es sich um ein Druckmittel zwecks Bewirkung der gebührenden Leistung handelt. Das gilt unabhängig davon, ob die Leistung schon bewirkt ist und deswegen nicht mehr zurückgehalten werden kann oder ob sie aus anderen Gründen unterblieben ist; denn auch in diesem Fall kann der Arbeitgeber die an eine bestimmte Zeit gebundene Beschäftigung nicht mehr zurückhalten. Die nachträgliche Ausübung des Zurückbehaltungsrechts wäre gegenstandslos, da weder die Beschäftigung noch die Fortbildung mit Wirkung für die Vergangenheit nachgeholt werden kann. Deshalb ergeben sich die Folgen der unterbliebenen Arbeitsleistung des Klägers allein aus den §§ 615, 293 ff. BGB, nicht aus § 273 BGB.

II. An dieser Rechtslage hat der Prozessvergleich vom 16. August 2006 nichts zu Gunsten der Beklagten geändert. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen Vergleich, das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung „ordnungsgemäß abzurechnen“, wird hierdurch im Zweifel nur die ohnehin bestehende Rechtslage bestätigt (Senat 19. Mai 2004 – 5 AZR 434/03 – zu I der Gründe, AP BGB § 615 Nr. 108). Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien den Vergütungsanspruch im Vergleich einschränken, insbesondere ein Leistungshindernis nachträglich noch berücksichtigt wissen wollten. Vielmehr spricht die Interessenlage im Ergebnis eher für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, die Parteien hätten die Frage des Unvermögens des Klägers im Abrechnungszeitraum gerade nicht offenlassen wollen und auf die bereits erkennbare Einwendung, der Kläger habe mangels Fortbildung nicht vertragsgemäß beschäftigt werden können, sei verzichtet worden. Diese Frage bedarf aber keiner abschließenden Klärung.

III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Quelle: BAG

Kündigung wegen Notkompetenz

ArbG Koblenz (Mayen) – 07.11.2008 – 2 Ca 1567 / 08

DER FALL:
Der Kläger ist RA und bereits wegen angeblich rechtswidriger Medikamentengabe abgemahnt. In zwei weiteren Notfalleinsätzen behandelte er eine Patientin mit Bluthochdruck auf der Fahrt in die Klinik mit Ebrantil, am gleichen Tag einen Patienten mit Fraktur mit Novaminsulfon und MCP. Im zweiten Fall war der Weg zur Klinik 700 m. Einen Notarzt alarmierte er jeweils nicht, weil der Zeitverlust zu groß gewesen wäre.

DAS GERICHT:
Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Nach Auffassung des ArbG Koblenz verstößt ein RA bei der Verabreichung von Medikamenten nicht gegen §5 Heilpraktikergesetz. Die Arbeitgeberseite habe weder darlegen und beweisen können, dass der Kläger gegen Vorgaben des Ärztl. Leiters RD verstossen habe noch, dass durch die Medikamente Gefährdungen der Patienten eingetreten seien. Das DRK habe auch nicht bestritten, dass diese Medikamente auf dem RTW vorgehalten werden und nicht behauptet, deren Verwendung stehe nur den Ärzten zu. Insofern hat der Kläger im Rahmen seines Ermessens in einer Notkompetenzsituation keinen wichtigen Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geboten.

ANMERKUNG RA SPENGLER:
Das Urteil ist eine wichtige Fortsetzung der alten Notkompetenz-Urteile aus den frühen 1990 igern (siehe unten). Aber letztendlich hat der Kläger vor allem deshalb seinen Arbeitsplatz, weil die Arbeitgeberseite ihrer prozessualen Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen ist. Eine Grundsatzentscheidung – noch dazu mit dem Tenor, es sei alles erlaubt – ist das nicht.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Wechselschichtzulage bei Bereitschaftszeiten von Rettungssanitätern

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. September 2008 – 10 AZR 669/07

Nach dem am 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) erhalten Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit leisten, eine Zulage von monatlich 105,00 Euro und einen Zusatzurlaub. Auch die im Rettungsdienst üblichen Bereitschaftszeiten können in Wechselschicht geleistet werden und die entsprechenden Leistungen auslösen.

Auf die Zahlung der Wechselschichtzulage und den Zusatzurlaub geklagt hatte ein Rettungssanitäter einer Rettungswache, der in zwei Dienstschichten von je 12 Stunden regelmäßig nach einem Dienstplan eingesetzt wurde. Nachdem der beklagte Landkreis bis zum Juni 2006 die Wechselschichtzulage gezahlt und den Zusatzurlaub gewährt hatte, stellte er diese Leistungen ein. Er begründete dies damit, dass in die regelmäßige Arbeitszeit in nicht unerheblichem Umfang Zeiten fielen, in denen keine Vollarbeit geleistet werde. Der Kläger hat gemeint, die durch die Zulage auszugleichenden Belastungen lägen auch und gerade während der Bereitschaftszeiten vor, in denen ständig die sofortige Einsatzbereitschaft sichergestellt sein müsse. Das Landesarbeitsgericht hatte dem Kläger lediglich eine Schichtzulage in Höhe von 40,00 Euro monatlich zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen hatten der beklagte Landkreis Revision und der Kläger Anschlussrevision eingelegt.

Die Revision des beklagten Landkreises hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg, während die Anschlussrevision des Klägers erfolgreich war. Dem Kläger stehen nach der tariflichen Regelung die beanspruchten Leistungen im vollen Umfang zu. Der Kläger leistet in der Rettungswache ständig Wechselschichtarbeit, da in ihr ununterbrochen in wechselnden Arbeitsschichten gearbeitet wird. Bereitschaftszeiten gehören zur regelmäßigen Arbeitszeit. Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst, der außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit zu leisten ist und gesondert vergütet wird, umfassen die Bereitschaftszeiten keine im voraus festgelegte Zeiten ohne Arbeitsleistung, so dass die wechselnden Arbeitsschichten auch durch die Zeiten, in denen nicht voll gearbeitet wird, im tariflichen Sinne nicht unterbrochen werden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. September 2008 – 10 AZR 669/07 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2007 – 9 Sa 625/07

 

Beweislast Arbeitsbereitschaft – Beweiswert sog. „Gutachten“

BAG – Urteil vom 09.03.2005 – AZ: 5 AZR 385/02

DER FALL :
Mit seiner Klage wendet sich ein Rettungsassistent eines DRK-Kreisverbandes gegen die von seinem Arbeitgeber angeordnete Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 49 Stunden. Weiterhin macht er Ansprüche auf Bezahlung von Überstunden für die über die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden wöchentlich hinaus geleisteten Arbeitsstunden geltend. Der von der Kanzlei Spengler vertretene Rettungsassistent hatte dies dem DRK bereits vor der Erhöhung angekündigt und ab diesem Zeitpunkt jeden Tag seiner Arbeit mit eigenen Arbeitszeitaufschrieben dokumentiert.

DIE ENTSCHEIDUNG:
Die angeordnete Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit auf 49 Stunden/Woche war unwirksam. Die tarifvertraglichen Voraussetzungen für eine solche Verlängerung lagen im Streitfall nicht vor. Der Arbeitgeber hat nicht dargelegt, dass in die tägliche Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fiel. Mit der als Gutachten bezeichneten Wirtschaftslichkeitsanalyse einer bekannten Firma, die für die Kostenträger Berechnungen anstellt, kann der Arbeitgeber seiner Beweislast nicht nachkommen. Es bedurfte deshalb keiner Entscheidung, ob die nach dem TV-DRK mögliche Anordnung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 49 Stunden/Woche mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union vereinbar ist.
Die vom Kläger erhobenen Ansprüche auf Überstundenvergütung sind aber zum Teil verfallen, weil der Kläger sie nach dem Entstehen nicht rechtzeitig schriftlich geltend gemacht hat. Die bereits vor Ablauf dieses Zeitraums erfolgte Geltendmachung von Überstundenvergütung wahrt die Ausschlussfrist nicht.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Kein Schadensersatz für Rettungsdienst bei grob fahrlässiger „Blaulichtfahrt“

Fahrer von Rettungsdiensten haben sich bei Rettungsfahrten grundsätzlich auch an Verkehrsregeln zu halten. Verstoßen Sie dagegen, kann dies einen Schadensersatzanspruch verringern. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des LG Osnabrück.

Im vorliegenden Fall führte ein Mitarbeiter der Klägerin, die einen Rettungsdienst betreibt, mit einem Rettungsfahrzeug der Klägerin einen Einsatz durch. Der Zeuge näherte sich einem Kreuzungsbereich mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht. Die Ampelanlage zeigte für ihn rot. Zur gleichen Zeit näherte sich von links zunächst ein Postauto, das die Kreuzung überquerte. Dahinter fuhr die Beklagte. Auch sie beabsichtigte, die Kreuzung zu überqueren. Für sie zeigte die Ampelanlage grün. Im Kreuzungsbereich kam es zu einer Kollision zwischen beiden Fahrzeugen.

Vorprozessual hatte die hinter der Beklagten stehende Versicherung unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 25 % einen Betrag von 9.575,61 EUR gezahlt. Mit der Klage verlangte die Klägerin Zahlung weiterer 37.429,54 EUR. Sie vertrat die Ansicht, die Beklagte hätte den Unfall allein verursacht. Ihr Fahrer hätte bei der Anfahrt auf die Kreuzung die Geschwindigkeit verringert, habe die Kreuzung eingesehen und festgestellt, dass der Verkehr zum Stehen gekommen sei. Sodann habe er beschleunigt und die Kreuzung überqueren wollen. Die Beklagte hat behauptet, der Fahrer sei mit unverminderter Geschwindigkeit in die Kreuzung hineingefahren.

Das LG hat die Klage nach der Vernehmung des Fahrers und der Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens abgewiesen und zur Begründung folgendes ausgeführt: Fahrer von Notarztwagen seien von der Einhaltung der Vorschriften der StVO befreit. Sie dürften folglich bei rot in Kreuzungsbereiche einfahren. Dennoch behalte in solchen Situationen der nach der allgemeinen Regelung Vorfahrtsberechtigte – hier die bei Grünlicht fahrende Beklagte – grundsätzlich sein Vorfahrtsrecht. Dieses würde nur durch das Sonderrecht des Rettungsfahrers beschränkt.

Demnach dürften Fahrer von Rettungsfahrzeuge das Vorfahrtsrecht anderer Verkehrsteilnehmer nur unter Anwendung größtmöglichster Sorgfalt missachten. Die Vorrechte dürften erst ausgeübt werden, wenn der Fahrer sich vergewissert hätte, dass die anderen Verkehrsteilnehmer sein Vorrecht erkannt und sich auf die Durchfahrt des Einsatzfahrzeuges eingerichtet hätten. Ein Einsatzfahrer verhalte sich dagegen grob fahrlässig, wenn er mit überhöhter Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich hineinfahre, obwohl er wegen Sichtbehinderung nicht feststellen könne, ob die Signale des Einsatzfahrzeugs von allen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen und beachtet würden.

Das Gericht sei zu der Erkenntnis gekommen, dass der Fahrer mit überhöhter Geschwindigkeit, ca. 57 km/h, in die Kreuzung eingefahren ist. Ein Abbremsen im Kreuzungsbereich sei dabei offensichtlich nicht erfolgt. Der als Zeuge vernommene Fahrer habe dies gegenüber dem Gericht zwar so angegeben, diese Aussage konnte aber durch die Auswertung der Diagrammscheibe widerlegt werden. Des Weiteren seien die Sichtverhältnisse an der Kreuzung aufgrund der Bebauung stark eingeschränkt. Die links einmündende Straße, aus der sich die Beklagte genähert habe, habe der Fahrer des Rettungsfahrzeugs erst beim Einfahren in den Kreuzungsbereich einsehen können.

Der Fahrer habe insgesamt grob fahrlässig gehandelt. Er sei mit überhöhter Geschwindigkeit in den ausgesprochen unübersichtlichen Kreuzungsbereich hineingefahren, ohne sich vorher zu vergewissern, dass Verkehrsteilnehmer sein Vorrecht erkannt hatten. Hinzu käme, dass vor der Beklagten noch ein Postauto die Kreuzung überquert hatte. Schon dies hätte für den Zeugen Anlass sein müssen, darauf zu achten, ob noch weitere Verkehrsteilnehmer aus dieser Richtung kommen.

Ein schuldhafter Pflichtverstoß seitens der Beklagten konnte dagegen nicht festgestellt werden. Der Sachverständige, der die Unfallstelle in Augenschein genommen hatte, habe ausgeführt, dass ein auf der Ecke der Kreuzung stehendes Mehrfamilienhaus für die Beklagte zum einen eine Sichtbehinderung, gleichzeitig aber auch eine Schallbeeinträchtigung darstellte. Deshalb habe das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgehen können, dass die Beklagte das Martinshorn überhaupt wahrnehmen konnte, zumal eine unbeteiligte Unfallzeugin, die zu Fuß aus der gleichen Richtung kam, wie die Beklagte, angegeben habe, sie habe auch kein Martinshorn gehört. Eine etwaige Mitverursachung an dem Unfall seitens der Beklagten sei deshalb unter Berücksichtigung der bereits vorprozessual geleisteten Zahlung ausreichend berücksichtigt.

Entscheidung des LG Osnabrück vom 10.02.2005, mehr unter: https://app.lg-os.niedersachsen.de/landgericht/Entscheidungen/FILES/5O294104.htm

Keine Mitbestimmung bei Menge der Wochenarbeitszeit

BAG – Urteil vom 22.07.2003 – AZ:1 ABR 28/02

DER FALL:
Der Arbeitgeber ist ein DRK-KV. Auf Antrag des Betriebsrats, der durch die RAe Spengler & Kollegen vertretenwurde, hat eine betriebliche Einigungsstelle einen Rahmendienstplan beschlossen. Der Spruch beinhaltet eine Passage, in der geregelt wird: „Die wöchentliche durchschnittliche Höchstarbeitszeit in Form von persönlicher Anwesenheit am Arbeitsplatz dienstplanmäßig auf 48 Stunden beschränkt“; in der Arbeitszeit „können Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst enthalten sein“.
Die übrigen Regelungen haben die Dauer und Lage von Schichten und Bereitschaftsdienst, die Dauer der Ruhezeit nach Schichtende und Pausenzeiten zum Gegenstand. Der Arbeitgeber hat den Spruch angefochten. Die Vorinstanzen haben seinen Antrag abgewiesen.

DAS BAG:
Das BAG gab dem AG in einem Punkt Recht: Eine betriebliche Einigungsstelle kann keine Regelung über den Umfang der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und die Einordnung von Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit treffen. Denn damit wird nicht Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, sondern die Menge der Wochenarbeitszeit definiert. Die übrigen Regelungen des Dienstplans und der BV ergeben aber für sich auch ohne diese Passage einen Sinn, so dass der 1.Senat des BAG den Spruch der Einigungsstelle nur betreffend dieses Absatzes für unwirksam erklärt hat.

ANMERKUNG RA SPENGLER:
Das BAG betont, dass die Menge der Wochenarbeitszeit nicht mitbestimmungspflichtig ist. Bei einer Erhöhung und Reduzierung ändert sich aber immer auch der Takt der Dienstpläne und die Verteilung. Das ist sehr wohl als Folge mitbestimmungspflichtig. Betriebsräte können sich so indirekt gegen eine Erhöhung der Arbeitszeit wehren.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Mitbestimmung bei der Einstellung Ehrenamtlicher

BAG – 12.11.2002 – 1 ABR 60/01

DER FALL:
Ein DRK KV betreibt Rettungs- und Krankentransportdienst. Im Einsatzfall sind die Fahrzeuge regelmäßig mit je einem RA und einem RS besetzt. Seit Mitte 2000 setzt der AG teilweise Vereinsmitglieder gegen eine Aufwandsentschädigung als RS in den Rettungs- und Transportfahrzeugen ein. Der BR, vertreten durch die RAe Spengler & Kollegen, hat darin mitbestimmungspflichtige Einstellungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG gesehen. Er hat beantragt, dies gerichtlich festzustellen. Der AG hat gemeint, die Vereinsmitglieder seien keine AN und würden deshalb nicht im Sinne des Gesetzes eingestellt. Im übrigen stehe einem Mitbestimmungsrecht des BR die karitative Tendenz des Unternehmens entgegen

DIE ENTSCHEIDUNG:
Das BAG gab dem BR Recht. Es ist unerheblich, ob es sich bei den ehrenamtlich im Rettungs- und Transportdienst tätigen Vereinsmitgliedern um AN handelt. In jedem Fall liegt ihrer Beschäftigung eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG zugrunde.
Dafür bedarf es lediglich der tatsächlichen Eingliederung in den Betrieb zur Leistung einer ihrer Art nach weisungsabhängigen Tätigkeit. Das Mitbestimmungsrecht des BR ist auch nicht durch § 118 Abs. 1 BetrVG eingeschränkt. Dabei kann unterstellt werden, daß der Rettungs- und Transportdienst ein Tendenzbetrieb im Sinne dieser Vorschrift ist. Jedenfalls sind beim Einsatz auf den Rettungs- und Transportfahrzeugen weder haupt- noch ehrenamtlich tätige Mitarbeiter Tendenzträger. Sie können auf die Tendenzverwirklichung keinen prägenden Einfluß nehmen.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Rettungsassistent ist als Rettungsassistent einzugruppieren

ArbG Hannover – 4 Ca 468 / 01

DER FALL:
Der Kläger arbeitete beim DRK in Niedersachsen. Er hat die Ausbildung zum Rettungsassistenten, wurde aber als Rettungssanitäter eingestellt und eingruppiert. Im Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist er entweder auf dem KTW oder als Fahrer auf dem RTW eingesetzt. Der DRK TV sieht eine höhere Eingruppierung für Rettungsassistenten bei entsprechender Tätigkeit vor. Der Kläger, vertreten durch die Kanzlei Spengler & Kollegen, verlangte die Eingruppierung entsprechend seiner Berufsurkunde, das beklagte DRK meinte, der Kläger übe nur Tätigkeiten eines Rettungssanitäters aus

DIE ENTSCHEIDUNG:
Das Arbeitsgericht Hannover bejahte den Anspruch des Klägers als Rettungsassistent auf einer Planstelle als Rettungssanitäter auf Höhergruppierung. Das Gericht folgte der Argumentation des Klägers und unserer Kanzlei, wonach die Tätigkeit des Klägers quasi zu 100 % solche eines Rettungsassistenten war. § 3 RettAssG definiert nämlich auch den Krankentransport, das Assistieren des Notarztes und die eigenständige Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen als Aufgabe des Rettungsassistenten. Diese Tätigkeiten übte auch der Kläger aber nachweislich aus. Welche Tätigkeiten des Klägers hingegen die eines Rettungssanitäters sein sollten, vermochte der Arbeitgeber nicht darzulegen.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Arbeitnehmerhaftung – Haftungsbegrenzung bei grober Fahrlässigkeit

Arbeitnehmerhaftung – Haftungsbegrenzung bei grober Fahrlässigkeit LAG München 4. Kammer, Urteil vom 21.09.1995, Aktenzeichen: 4 Sa 1114/94 BGB § 611 Abs 1, BGB § 823, BGB § 276, BGB § 254

Leitsatz

1. Übernimmt ein Arbeitnehmer in der Frühschicht (5 Uhr) das Steuer eines schweren Spezialfahrzeugs, obwohl er in der vorangegangenen Nacht erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen und nur wenig und schlecht geschlafen hat, und nickt infolge des Restalkohols und der Übermüdung schon in der ersten halben Arbeitsstunde ein, so beruht ein dadurch verursachter Unfall auf grober Fahrlässigkeit.

2. Von dem am Fahrzeug des Arbeitgebers entstandenen Schaden von DM 150.000.- hat er angesichts eines Monatsverdienstes von DM 2.400.- netto, eines Lebensalters von 24 Jahren und einer unfallfreien Betriebszugehörigkeit von drei Jahren lediglich DM 20.000.- zuzüglich 9% Verzugszinsen zu ersetzen (im Anschluß an BAG, Urteil vom 12.10.1989, 8 AZR 276/88 = AP Nr 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers.

Orientierungssatz

1. Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 8 AZR 893/95. Fundstellen Bibliothek BAG (Leitsatz 1-2 und Gründe) ArbuR 1996, 193 (Gründe) LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr 20 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

Weitere Fundstellen EzA-SD 1996, Nr 6, 15 (Leitsatz 1-2) Verfahrensgang vorgehend ArbG München 12. Oktober 1994 15 Ca 7348/94 nachgehend BAG 23. Januar 1997 8 AZR 893/95 Urteil

Arbeitnehmerhaftung bei grober Fahrlässigkeit

Arbeitnehmerhaftung bei grober Fahrlässigkeit LAG München 7. Kammer, Urteil vom 11.12.1991, Aktenzeichen: 7 Sa 415/91 BGB § 611 Abs 1, BGB § 276, BGB § 249

Leitsatz

1. Die Haftung des Arbeitnehmers ist bei gefahrgeneigter Tätigkeit auch bei grober Fahrlässigkeit aufgrund einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, die auf den im Grundgesetz verankerten Wertvorstellungen über Menschenwürde, Persönlichkeitsschutz und Sozialstaatsprinzip beruhen, der Höhe nach beschränkt (hier: auf 2/3 des Schadens). Fundstellen DAR 1992, 181-182 (Leitsatz 1 und Gründe) Weitere Fundstellen Schaden-Praxis 1992, 430 (red. Leitsatz)

Abmahnung bei Notkompetenz

ArbG Elmshorn – 19.9.1990 – 2 d CA 680 / 90

DER FALL:
Der Kläger, RS beim Landkreis, traf auf eine Patientin, die der Hausarzt ohne Diagnose zu hinterlassen, einweisen ließ. Er diagnostizierte einen Herzinfarkt, forderte den NA nach, legte einen Zugang und weil die Patientin nicht zu beruhigen war, verabreichte er 5 mg Diazepam, worauf sich der Zustand besserte. Danach entwickelte sie jedoch ein ausgeprägtes Lungenödem, weswegen der RS später 30 mg Furosemid verabreichte, da der NA immer noch nicht eingetroffen war. Der Arbeitgeber mahnte den RS ab

DIE ENTSCHEIDUNG:
Die Abmahnung war zu entfernen. Der RS hat eine Garantenstellung. Grundsätzlich sind die Kompetenzen zwischen Arzt und RS klar zu beachten. In einer akut lebensbedrohlichen Situation darf ausnahmsweise ein gut ausgebildeter, seit Jahren erprobter RS auch dann Medikamente in einer Notfallsituation verabreichen, wenn der NA noch nicht eingetroffen ist. Hierzu muss er auch nicht erst Funkkontakt mit dem NA aufnehmen. Der RS trägt aber dann auch die volle Verantwortung für sein Handeln. Es ist bei der Abwägung stets auf die konkreten Umstände im Einzelfall abzustellen. Ein RS muss an seine Tätigkeit schließlich mit dem gebotenen entschlossenen Handeln und Mut herangehen, der mit dem eines Verwaltungsangestellten nicht vergleichbar ist.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Kündigung wegen Notkompetenz

LAG Baden Württemberg – 15.11.1989 – 11 TaBV 2 / 89

DER FALL:
Der Betroffene ist Rettungssanitäter, Mitglied des Betriebsrates und bereits wegen Ergreifens ärztlicher Massnahmen abgemahnt. Er traf bei einem Einsatz auf einen hämorrhagischen Schock mit Magenblutung, forderte den NA an und nach dem der Patient kollapierte legte er einen Zugang und Infusionen. Der NA beschwerte sich bei der HiOrg und diese beantragte die Zustimmung zur fristlosen Kündigung beim BR

DIE ENTSCHEIDUNG:
Ein Ergreifen invasisver Massnahmen stellt an sich einen wichtigen Grund dar, zumal dieses bereits abgemahntes Verhalten darstellt. Hier habe sich der RS aber auf den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB berufen können. Er habe hier berechtigtermassen im Rahmen der Notkompetenzt gehandelt, der Arbeitgeber konnte angesichts dieser Schilderung nicht seiner Darlegungs- und Beweislast nachkommen, warum dies nicht gerechtfertigt gewesen sein soll. Das LAG betont, dass eine Notkompetenz auch dann in Betracht kommt, wenn der Notarzt bereits in Anfahrt ist.

Qelle: Mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskanzlei Spengler

Haftung bei gefahrgeneigter Arbeit im Falle grober Fahrlässigkeit

Haftung bei gefahrgeneigter Arbeit im Falle grober Fahrlässigkeit

LAG Schleswig-Holstein 5. Kammer, Urteil vom 10.06.1986, Aktenzeichen: 5 Sa 74/86

BGB § 823, BGB § 254, VVG § 61, VVG § 67 Abs 1 S 1, AKB § 15 Abs 2, BGB § 276, BGB § 611

Leitsatz
1. Bei gefahrgeneigter Arbeit haftet der Arbeitnehmer grundsätzlich auch für grobe Fahrlässigkeit.

2. Die Haftung des Arbeitnehmers ist auch bei einer grob fahrlässigen Schadensverursachung nicht durch eine Haftungsobergrenze summenmäßig begrenzt.

Orientierungssatz
1. Die gegen das Urteil des LArbG Kiel eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BAG durch Beschluß vom 18.9.1986 8 AZN 476/86 als unzulässig verworfen.

Fundstellen
LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr 7 (Leitsatz 2 und Gründe)

Verfahrensgang
vorgehend ArbG Elmshorn 3. Dezember 1985 3a Ca 1541/84

Beweislast bei Diebstahl aus einem Kundendienstwagen

Beweislast bei Diebstahl aus einem Kundendienstwagen

BAG 3. Senat, Urteil vom 29.01.1985, Aktenzeichen: 3 AZR 570/82

BGB § 611, BGB § 280, BGB § 282, BGB § 286, BGB § 241, BGB § 305, BGB § 242, BGB § 688, BGB § 675

Leitsatz
1. Wird aus einem Kundendienstwagen durch unbekannte Dritte Gerät entwendet, so trägt der Arbeitgeber in einem Schadenersatzprozeß die Beweislast, wenn er den zuständigen Kundendienstmonteur mit der Begründung in Anspruch nimmt, dieser habe das Fahrzeug nicht ordnungsmäßig abgeschlossen.

Fundstellen
BlStSozArbR 1985, 342-342 (Gründe)
DB 1985, 2565-2565 (Leitsatz 1 und Gründe)
ARST 1985, 190-191 (Gründe)
EzA § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr 41 (Leitsatz 1 und Gründe)
NZA 1986, 23-24 (Leitsatz 1 und Gründe)
NJW 1986, 865-866 (Leitsatz 1 und Gründe)
ARST 1986, 90-91 (Leitsatz 1 und Gründe)
AP Nr 87 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (Leitsatz 1 und Gründe)
AR-Blattei Haftung des Arbeitnehmers Entsch 112 (Leitsatz und Gründe)
AR-Blattei ES 870 Nr 112 (Leitsatz und Gründe)

Verfahrensgang
vorgehend LArbG Frankfurt 22. September 1982 10 Sa 66/82
vorgehend ArbG Frankfurt 29. September 1981 4 Ca 120/81

Diese Entscheidung wird zitiert von
BAG 22. Mai 1997 8 AZR 562/95 Vergleiche
AP Nr 87 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, Baumgärtel, G (Anmerkung)
AR-Blattei Haftung des Arbeitnehmers Entsch 112, Mayer-Maly, Theo (Anmerkung)
AP Nr 87 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, (Baumgärtel) (Anmerkung)

Langtext

Tatbestand
Der Beklagte ist seit 13. August 1979 bei der Fr Niederlassung der Klägerin als Fernsehtechniker im Außendienst beschäftigt. Am Nachmittag des 6. November 1979 war er mit dem firmeneigenen VW-Bus zu Kundenbesuchen unterwegs. In dem Wagen befand sich außer Werkzeugen und Ersatzteilen ein Video-Recorder, der einem Kunden in der O.straße ausgeliefert werden sollte. Der Beklagte besuchte zunächst einen anderen Kunden in der N.straße. Von dort aus fuhr er in die G.straße, wo er ca. zwei Stunden lang mit einer Reparatur beschäftigt war. Gegen 16.45 Uhr kam er in der O.straße an. Als er dort die Heckklappe des Wagens öffnete, stellte er fest, daß der Video-Recorder fehlte. Die herbeigerufene Polizei konnte keine Spuren von Gewalteinwirkung feststellen.

Nachdem die Diebstahlversicherung der Klägerin den Haftungseintritt ablehnte, nahm die Klägerin den Beklagten auf Zahlung des entstandenen Schadens in Höhe von 1.605,90 DM in Anspruch. Sie hat behauptet, der Diebstahl sei darauf zurückzuführen, daß der Beklagte das Fahrzeug nicht ständig verschlossen gehalten habe.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.605,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1980 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat vorgetragen, das Fahrzeug sei während des ganzen Nachmittags, jedenfalls aber in der N.straße, wo das Gerät nach der Aussage eines 5-jährigen Jungen von zwei älteren Jungen entwendet worden sei, verschlossen gewesen. Der den Diebstahl aufnehmende Polizeibeamte, der Zeuge J, habe es abgelehnt, Fingerabdrücke zu nehmen und das Schloß der Heckklappe des Fahrzeuges kriminaltechnisch untersuchen zu lassen. Der Klägerin sei vorzuwerfen, daß sie keinerlei Vorkehrungen zur Sicherung des Fahrzeugs getroffen habe, obwohl ihr das Diebstahlsrisiko bewußt gewesen sei. Das ergebe sich aus dem Abschluß einer Diebstahlversicherung und aus früheren Diebstahlsvorgängen in der Frankfurter Zweigniederlassung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr in Höhe eines Drittels des Klagebetrags stattgegeben. Mit seiner Revision wehrt sich der Beklagte weiter gegen den Schadenersatzanspruch. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlußrevision den Klageantrag weiter, soweit das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen hat; Zinsen begehrt sie jedoch nur noch seit dem 1. Mai 1981.

Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte haftet nicht für den Verlust des Video-Recorders. I. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte nicht aufgrund einer Mankoabrede für den Verlust einzustehen hat.

Wegen der auch im Arbeitsrecht herrschenden Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB) ist eine Mankoabrede grundsätzlich zulässig, wenn sie eine sinnvolle, den Eigenarten des Betriebs und der Beschäftigung angepaßte Beweislastverteilung enthält oder eine vom Verschulden des Arbeitnehmers unabhängige Haftung für Fehlbeträge darstellt, die in seinem Arbeits- und Kontrollbereich aufkommen (vgl. BAG AP Nr. 67 zu § 626 BGB; AP Nr. 4 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Die Klägerin hat jedoch nicht behauptet, eine solche Vereinbarung mit dem Beklagten ausdrücklich getroffen zu haben. Sie ist auch nicht stillschweigend zustande gekommen. Allein die Art der Beschäftigung des Klägers berechtigt nicht zu diesem Schluß. Die Wirksamkeit einer Mankoabrede setzt voraus, daß dem erhöhten Risiko des Arbeitnehmers ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich gegenübersteht (vgl. BAG AP Nr. 4 und 54 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dafür, daß ein solcher vereinbart gewesen sei, hat die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen.

II. Der Beklagte haftet auch nicht deshalb auf Schadenersatz, weil ihm die Herausgabe des Videogeräts infolge eines Umstands unmöglich geworden ist, den er zu vertreten hätte (§ 280 Abs. 1 BGB).

Der Arbeitnehmer haftet für eingetretene Fehlbestände, wenn ihm ein Kassen- oder Warenbestand in der Weise übertragen wurde, daß er allein Zugang zu ihm hatte und selbständig darüber disponieren konnte. War seine Tätigkeit mit wirtschaftlichen Überlegungen und Entscheidungen verbunden, so gelten neben den arbeitsvertraglichen Bestimmungen die Vorschriften über die Verwahrung (§ 688 BGB) und den Auftrag (§§ 675, 663, 665 bis 670, 672 bis 674 BGB). Der Arbeitgeber hat darzulegen und zu beweisen, daß er dem Arbeitnehmer bestimmte Waren zur eigenen Verwaltung übertragen hat. Der Arbeitnehmer ist bei der Abrechnung zur Herausgabe der erhaltenen Gegenstände oder ihres wirtschaftlichen Surrogates (§ 667 BGB) verpflichtet. Ist er hierzu nicht in der Lage, ist ihm die Leistung also unmöglich (§ 280 BGB), so hat er sich zu entlasten. Er muß darlegen und beweisen, daß ihn an der Entstehung des Mankos kein Verschulden trifft (vgl. BAG AP Nr. 49 und 54 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten, soweit er Werkzeug und Geräte mitzuführen hatte, keine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit übertragen, die die Anwendung dieser Haftungsgrundsätze rechtfertigte. Bezüglich der ihm anvertrauten Sachen kamen für ihn wirtschaftliche Überlegungen und Entscheidungen nicht in Betracht. Die Werkzeuge hatte er für seine handwerkliche Tätigkeit als Fernsehmonteur zu benutzen. Mitgeführte Geräte hatte er den Kunden zu überbringen. Insoweit war er Bote, nicht aber wirtschaftlich selbständig Handelnder. Darin unterschied er sich von einem Verkaufsfahrer, dem zu Beginn der Fahrt eine bestimmte Warenmenge übergeben wird, die er umsetzen und über deren Verbleib er nach seiner Rückkehr Rechnung legen soll. Wirtschaftlich selbständig tätig wurde der Beklagte nur, soweit er für die bei den Kunden durchgeführten Arbeiten Reparaturzeiten festzusetzen, Arbeitspreise zu berechnen und Gelder einzuziehen hatte. Um diesen Bereich der Tätigkeit des Beklagten geht es jedoch vorliegend nicht.

III. Auch eine Haftung des Beklagten wegen positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) scheidet aus.

1. Als Arbeitnehmer war der Beklagte verpflichtet, die ihm vom Arbeitgeber überlassenen Werkzeuge, Materialien und Geräte sicher zu verwahren. Der Umfang dieser Pflicht bestimmte sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), insbesondere nach den Möglichkeiten, die ihm die Art seiner Tätigkeit bot.

Die arbeitsvertraglichen Aufgaben des Beklagten erforderten, daß dieser, wenn er in den Wohnungen der Kunden Reparaturen ausführte, den VW-Bus – oft stundenlang – auf öffentlichen Straßen unbeaufsichtigt stehen lassen mußte. Seiner arbeitsvertraglichen Sorgfaltspflicht genügte der Beklagte dadurch, daß er den Wagen während dieser Zeit ordnungsgemäß verschlossen hielt. Kam es dennoch zu einem Diebstahl durch Dritte, so ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen, daß er den Schaden nicht abwenden konnte.

2. Es ist nicht festgestellt, daß der Beklagte seine Pflicht, den Wagen verschlossen zu halten, verletzt hätte. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, bezüglich der Frage, ob der Beklagte Türen, Fenster und Heckklappe ständig verschlossen gehalten hat, bestehe ein völlig unklares Beweisergebnis. Dies hat die Klägerin nicht mit Revisionsrügen angegriffen.

3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind die Folgen dieser Beweislosigkeit nicht vom Beklagten, sondern von der Klägerin zu tragen. Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen ist es Sache des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung nachzuweisen, wenn er ihn auf Schadenersatz wegen Schlechterfüllung in Anspruch nehmen will. Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes.

Soweit das Landesarbeitsgericht demgegenüber auf den Gesichtspunkt der Beweisnähe verweist und den Schadensfall zum Gefahrenbereich des Beklagten rechnet, ist ihm nicht zu folgen. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß der Beklagte den ständigen Verschluß des Fahrzeugs ebensowenig nachweisen kann, wie die Klägerin das Gegenteil. Von einer größeren Beweisnähe des Beklagten kann somit keine Rede sein. Ebensowenig sprechen die Grundsätze, die der Senat in der Entscheidung vom 28. Juli 1972 (- 3 AZR 468/71 – AP Nr. 7 zu § 282 BGB) aufgestellt hat, für eine Beweislast des Beklagten. In diesem Urteil hat der Senat angenommen, auch im Arbeitsvertragsrecht gelte in analoger Anwendung des § 282 BGB der Grundsatz, daß derjenige Vertragsteil, von dem wegen einer Vertragspflichtverletzung Schadenersatz verlangt werde, die Beweislast für sein Nichtvertretenmüssen trage, wenn die Schadensursache in seinem Gefahrenbereich liege. Dieser Grundsatz betrifft jedoch allein das Verschulden. Bezüglich des objektiven Tatbestandes der Vertragspflichtverletzung, der hier streitig ist, bleibt es bei der Beweislast des Geschädigten. Dies hat der Senat in der vorgenannten Entscheidung ausdrücklich klargestellt und sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Dienst- und Werkvertragsrecht berufen.

Schließlich hilft der Klägerin auch keine Beweiserleichterung aus dem Gesichtspunkt des ersten Anscheins. Wie das Arbeitsgericht und die Revision zu Recht ausgeführt haben, gibt es im Hinblick auf die Vielfalt der Diebstahlsmethoden keine tatsächliche Vermutung dafür, daß ein Fahrzeug, aus dem etwas gestohlen wurde, unverschlossen war. Anhaltspunkte hätte nur eine kriminaltechnische Untersuchung ergeben können, zu der die Polizei jedoch keinen Anlaß sah.