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Anspruch einer Krankenschwester, nicht für Nachtschichten eingeteilt zu werden

Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung ua. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Klägerin am 12. Juni 2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an. Bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts im November 2012 wurde sie nicht beschäftigt. Sie erhielt zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld.

Die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage war beim Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts, ebenso wie in den Vorinstanzen, erfolgreich. Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Die Vergütung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie die Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Beklagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 30. Mai 2013 – 5 Sa 78/13

Abmahnung wegen Nichtteilnahme an einer im Zusammenhang mit einer Fortbildungsmaßnahme durchgeführten “Leistungskontrolle” Text Aktenzeichen: 8 Sa 355/12 4 Ca 3346/11 ArbG Koblenz Entscheidung vom 23.01.2013

Aktenzeichen:
8 Sa 355/12
4 Ca 3346/11
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 23.01.2013

Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4.7.2012, Az.: 4 Ca 3346/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entfernung zweier Abmahnungen aus seiner Personalakte.

Der Kläger ist seit dem 14.02.1979 bei der Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält u.a. folgende Bestimmung:

“Der Angestellte verpflichtet sich, die erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen zu besuchen mit dem Ziele, die aufgabenorientierten Fähigkeiten für die Berufsausübung zu erwerben.”

Vom 15.03.2011 bis 17.03.2011 nahm der Kläger auf Weisung der Beklagten an einer Fortbildungsveranstaltung teil, in der Kenntnisse über “erweiterte Versorgungsmaßnahmen” vermittelt werden sollten. Gegenstand dieser Fortbildungsveranstaltung waren folgende Maßnahmen der medizinischen Notfallversorgung:

– Intubation
– Supraglottische Atemhilfe
– Periphere Venenpunktion
– Applikation ausgewählter Medikamente und Infusionslösungen
– Defibrilation.

Teil dieser Fortbildungsveranstaltung ist auch eine Prüfung bzw. Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen”. Der Kläger weigerte sich wiederholt, an dieser Leistungskontrolle teilzunehmen.

Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 08.08.2011 eine Abmahnung folgenden Inhalts:

Abmahnung

Sehr geehrter geehrter Herr A.,

bei der jährlichen rettungsdienstlichen Fortbildungsveranstaltung, an welcher sie vom 15.03.2011 bis 17.03.2011 auf Aufforderung teilnahmen, haben Sie die Teilnahme an der Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” verweigert, obwohl diese Bestandteil der Fortbildungsmaßnahme ist und Ihre Teilnahme hieran wie die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme insgesamt angeordnet war.

Mit Schreiben vom 08.04.2011 wurden Sie daher aufgefordert, an einem von zwei Ihnen alternativ angebotenen Nachprüfungsterminen an der Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” teilzunehmen. Beide Termine haben Sie ungenutzt verstreichen lassen.

Dieses Verhalten stellt eine wiederholte Arbeitsverweigerung dar und kann nicht hingenommen werden. Wegen dieser gravierenden Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten erteile ich Ihnen hiermit eine Abmahnung.

Kommen Sie weiteren Aufforderungen, wie für den uneingeschränkten Einsatz in Ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als Rettungsassistent erforderlich, an der Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” teilzunehmen, wiederum nicht nach, müssen Sie mit schwerwiegenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis zur Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses rechnen.
…”

Nachdem sich der Kläger in der Folgezeit erneut weigerte, an der betreffenden Leistungskontrolle teilzunehmen, erteilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 21.03.2012 eine weitere Abmahnung folgenden Inhalts:

2. Abmahnung

Sehr geehrter Herr A.,

wiederum haben Sie die Teilnahme an der Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” am 08.03.2012 verweigert.

Aufgrund dessen werden Sie erneut abgemahnt.

Sollten Sie diese Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” nochmals verweigern, sehen wir uns veranlasst, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen.
…”

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.07.2012 (Bl. 110 – 113 d.A.).

Der Kläger hat beantragt:
Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung des Klägers vom 8. August 2012 aus seiner Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung des Klägers vom 21. März 2012 aus seiner Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.07.2012 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 – 10 dieses Urteils (= Bl. 113 – 118 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 16.07.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.08.2012 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 17.09.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 17.10.2012 begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Maßnahmen, die Gegenstand der Fortbildungsveranstaltung gewesen seien, von § 3 RettAssG umfasst seien, denn dort sei nur generell die Rede von lebensrettenden Maßnahmen bei Notfallpatienten. Da die Beklagte selbst keine Möglichkeit sehe, ihm gegenüber die Anwendung der in der Fortbildungsveranstaltung erlernten Maßnahmen auch in der Praxis zu fordern, bestehe auch gerade keine vertragliche Verpflichtung seinerseits, die in der Fortbildungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse auch tatsächlich umzusetzen. Weder der Arbeitsvertrag noch die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen sähen vor, dass er sich Leistungskontrollen unterziehen müsse. Soweit das Arbeitsgericht die Leistungskontrolle als sinnvollen Annex zur Weiterbildungspflicht ansehe, so bedeute dies noch lange nicht, dass dadurch eine bindende vertragliche Verpflichtung zur Teilnahme an der Leistungskontrolle bestehe. Die Anordnung, an einer Fortbildung nebst Leistungskontrolle teilzunehmen, entspreche auch nicht billigem Ermessen. Da die Beklagte selbst die Auffassung vertrete, die fehlende Leistungskontrolle stehe seinem Einsatz als Fahrer von Rettungsfahrzeugen nicht entgegen, sei es unbillig, wenn sie trotzdem von ihm die Teilnahme an der Leistungskontrolle verlange. Die Beklagte verhalte sich insoweit widersprüchlich.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 17.10.2012 (Bl. 137 – 141 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 08.08.2011 und vom 21.03.2012 aus seiner Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 19.11.2012 (Bl. 146 – 151 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:
I. 
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung abgewiesen.

II.  Die auf Entfernung der Abmahnungsschreiben vom 08.08.2011 und vom 21.03.2012 aus der Personalakte des Klägers gerichtete Klage ist nicht begründet.

Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung kann sich in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB ergeben. Bei der Abmahnung, die in § 314 Abs. 2 BGB gesetzlich verankert wurde, handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rügefunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individual-rechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen. Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtliche Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr  besteht (BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 606/08NZA 2009, 1111). Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt (BAG v. 07.09.1988 – 5 AZR 625/87AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung). Allerdings ist eine Abmahnung auch dann aus der Personalakte zu entfernen, wenn sie statt eines konkret bezeichneten Fehlverhaltens nur pauschale Vorwürfe enthält (BAG v. 09.08.1984 – 2 AZR 400/83AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Entfernung der beiden Abmahnungsschreiben aus seiner Personalakte.

Weder die Abmahnung vom 08.08.2011 noch die vom 21.03.2012 enthalten unzutreffende Tatsachenbehauptungen. Die Richtigkeit der dort wiedergegebenen Tatsachen wird vom Kläger nicht in Abrede gestellt.

Die Abmahnungen beruhen auch nicht auf einer fehlerhaften Bewertung des Verhaltens des Klägers. Der im Abmahnungsschreiben vom 08.08.2011 ausdrücklich erhobene und im Abmahnungsschreiben vom 21.03.2012 zumindest konkludent wiederholte Vorwurf, die Weigerungen des Klägers, an der Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” teilzunehmen, stellten eine Arbeitsverweigerung und damit zugleich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, trifft zu.

Der Arbeitgeber ist im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO grundsätzlich berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, an Schulungen teilzunehmen, soweit diese Schulungen bzw. Fortbildungsmaßnahmen der Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit förderlich sind, d.h. soweit die im Rahmen der Schulung vermittelten Kenntnisse typischerweise im vereinbarten Tätigkeitsbereich einzusetzen sind (vgl. LAG Hessen v. 11.04.2007 – 8 Sa 1279/06 – zitiert nach Juris; Preis, in: Frankfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Aufl., § 106 GewO Rd.Ziff. 14). Vorliegend haben die Parteien im Arbeitsvertrag darüber hinaus ausdrücklich vereinbart, dass der Kläger verpflichtet ist, die für den Erwerb der aufgabenorientierten Fähigkeiten für die Berufsausübung erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen zu besuchen. Zu diesen Fortbildungsmaßnahmen gehört zweifellos auch die Schulung in der Zeit vom 15.03. bis 17.03.2011, zu welcher der Kläger entsandt wurde und in der Kenntnisse über “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” vermittelt wurden. Gemäß § 3 RettAssG entspricht es dem Berufsbild eines Rettungsassistenten, u.a. am Notfallort bis zur Übernahme der Behandlung durch den Arzt lebensrettende Maßnahmen bei Notfallpatienten durchzuführen, die Transportfähigkeit solcher Patienten herzustellen, die lebenswichtigen Körperfunktionen während des Transports zum Krankenhaus zu beobachten und aufrechtzuerhalten sowie kranke oder verletzte Personen unter sachgerechter Betreuung zu befördern. Hieraus ergibt sich für den Rettungsassistenten zugleich eine Garantenstellung, die den Arztvorbehalt des HeilPrG verdrängt (vgl. Heuchemer, Bolsinger, NZA-RR 2009, 408; vgl. auch ArbG Koblenz v. 07.11.2008 – 2 Ca 1567/08, NZA-RR 2009 419).

Die in der Fortbildungsveranstaltung vom 15.03.2011 bis 17.03.2011 vermittelten Kenntnisse der medizinischen Notfallversorgung (Intubation, Supraglottische Atemhilfe, Periphere Venenpunktion, Applikation ausgewählter Medikamente und Infusionslösungen, Defibrilation) dienen daher zweifellos der Ausübung der dem Berufsbild eines Rettungsassistenten entsprechenden Tätigkeiten. Es handelte sich somit eine “erforderliche Ausbildungsveranstaltung” im Sinne der im Arbeitsvertrag getroffenen Regelung. Hieraus ergibt sich zugleich die Berechtigung der Beklagten, den Kläger zur Teilnahme an der betreffenden Ausbildungsmaßnahme aufzufordern sowie dessen Verpflichtung, dieser Aufforderung Folge zu leisten.

Die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme umfasste zugleich auch die Pflicht, weisungsgemäß sich der Leistungskontrolle “Erweiterte Versorgungsmaßnahmen” zu unterziehen. Unstreitig ist diese Leistungskontrolle nämlich Teil der betreffenden Fortbildungsmaßnahme. Im Übrigen stellt sich die Überprüfung, ob die vermittelten Kenntnisse vom Arbeitnehmer erlernt wurden, auch als sinnvoller und im allgemeinen üblicher Annex einer Fortbildungsmaßnahme dar. Der Arbeitgeber hat regelmäßig ein berechtigtes Interesse an der Feststellung und Dokumentierung, dass der Arbeitnehmer die ihm bei einer Fortbildungsmaßnahme vermittelten und für seine Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse beherrscht. Der Arbeitnehmer seinerseits ist verpflichtet, diese Kenntnisse zu erwerben und vorzuhalten, was durch eine entsprechende Leistungskontrolle nachgewiesen werden kann. Dies gilt insbesondere im höchst verantwortungsvollen Tätigkeitsbereich eines Rettungsassistenten, der im Notfall vor Eintreffen eines Arztes lebensrettende Maßnahmen ergreift.

Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung der Beklagten gegenüber dem Kläger, sich im Rahmen der Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung auch der dazu gehörenden Leistungskontrolle zu unterziehen, nicht billigem Ermessen i.S.v. § 106 GewO entspricht, sind nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, besteht ein berechtigtes Interesse der Beklagten bezüglich der Teilnahme des Klägers an der betreffenden Fortbildungsveranstaltung nebst Leistungskontrolle. Es ist in diesem Zusammenhang – entgegen der Ansicht des Klägers – ohne Belang, dass es der Beklagten bei Fehlen von Kenntnissen des Klägers im Bereich der Notfallversorgung möglich wäre, ihn nunmehr (ausschließlich) als Fahrer einzusetzen. Ein überwiegendes Interesse des Klägers, sich der Leistungskontrolle zu verweigern, ist nicht gegeben. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, ob und welche Nachteile der Kläger im Falle des Nichtbestehens der Leistungskontrolle zu befürchten hätte. Diesbezüglich käme allenfalls in Betracht, dass der Kläger (vorübergehend, d.h. bis zu einer erfolgreichen Wiederholungsprüfung) von der Beklagten lediglich als Fahrer eingesetzt würde. Insoweit macht der Kläger jedoch selbst geltend, dass ein Einsatz als Fahrer ebenfalls eine vertragsgemäße Beschäftigung darstellt.

Die streitbefangenen Abmahnungen verstoßen auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will. Eine Abmahnung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil der Arbeitgeber über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte, etwa weil dem Arbeitnehmer ein bewusster Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten fern lag. Es ist der Beklagten daher vorliegend keinesfalls verwehrt, durch Erteilung von Abmahnungen deutlich zu machen, dass sie die Weigerung des Klägers, wirksame arbeitgeberseitige Weisungen zu befolgen, nicht hinnimmt.

III.  Nach alledem war die Berufung des Klägers mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Quelle: Justiz Rheinland-Pfalz

 

Neue Rechtsprechung des BFH zur regelmäßigen Arbeitsstätte

Der Bundesfinanzhof hat Mitte 2011 seine Rechtsprechung zur regelmäßigen Arbeitsstätte radikal geändert. Demnach liegt eine regelmäßige Arbeitsstätte nur noch an dem Ort vor, an dem der Arbeitnehmer den Mittelpunkt seiner dauerhaften beruflichen Tätigkeit hat. Das ist der Ort, an dem er seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen hat und den er daher fortlaufend aufsucht. Daher gilt:

  • Ein Arbeitnehmer kann nur eine einzige regelmäßige Arbeitsstätte beim gleichen Arbeitgeber haben, nicht mehrere (BFH vom 9.6.2011, VI R 55/10, BFH/NV 2011 S. 1764).
  • Hat keiner der Tätigkeitsstätten des Arbeitnehmers eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber anderen Tätigkeitsorten, hat der Arbeitnehmer gar keine regelmäßige Arbeitsstätte (BFH vom 9.6.2011, VI R 36/10, DStR 2011 S. 1654).
  • Muss ein Arbeitnehmer täglich nur zur Kontrolle den Betriebssitz seines Arbeitgebers aufsuchen, um danach zu seinen eigentlichen Einsatzorten wie Filialen usw. zu fahren, stellt der Betriebssitz keine regelmäßige Arbeitsstätte dar (BFH vom 9.6.2011, VI R 58/09, DStR 2011 S. 1655).

Diese neue Rechtsprechung begünstigt insbesondere Außendienstmitarbeiter, Kundenberater und Bezirksleiter, die mehrere Filialen ihres Arbeitgebers betreuen, ferner EDV-Techniker, die an mehreren Standorten ihres Arbeitgebers eingesetzt werden, Busfahrer und Kraftfahrer, die ihr Fahrzeug an verschiedenen Depots bzw. Standorten übernehmen, sog. Springer, die in Zweigstellen eingesetzt werden, an denen Personal fehlt, und Rettungssanitäter, die nicht nur auf der Rettungswache, sondern auch im Krankenhaus ein Bereitschaftszimmer haben.

Fahren diese Personengruppen zu Einsatzorten, die keine regelmäßige Arbeitsstätte sind, dürfen sie ihre Fahrtkosten mit der Reisekostenpauschale (für Hin- und Rückfahrt) anstelle der Entfernungspauschale (nur für Hinfahrt) ansetzen und ferner Verpflegungsmehraufwand bei mehr als 8-stündiger Abwesenheit und ggf. Übernachtungskosten abrechnen. Werden die Fahrten mit dem Dienstwagen durchgeführt, muss – im Gegensatz zu Fahrten zur regelmäßigen Arbeitsstätte – kein geldwerter Vorteil versteuert werden.

Betroffene Steuerpflichtige, denen das Finanzamt die Reisekosten nicht anerkennt, obwohl ihr Tätigkeitsort nach neuer Rechtsprechung keine regelmäßige Arbeitsstätte ist, sollten Einspruch unter Hinweis auf die neuen Urteile einlegen. Ob die Finanzverwaltung die neue Rechtsprechung anerkennt, ist aber noch unklar.

Quelle: WISO-Steuersparbuch 2012

Unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters bei altersabhängiger Staffelung der Urlaubsdauer – § 26 TVöD

Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer

Gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG beträgt der nach § 1 BUrlG jedem Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr zustehende bezahlte Erholungsurlaub mindestens 24 Werktage. Anders als § 26 Abs. 1 Satz 2 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) knüpft die gesetzliche Regelung damit die Dauer des Urlaubs nicht an das Lebensalter des Arbeitnehmers. Diese Tarifvorschrift regelt, dass bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage beträgt. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 TVöD ist für die Berechnung der Urlaubsdauer das Lebensjahr maßgebend, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG iVm. § 1 AGG dürfen Beschäftigte ua. nicht wegen ihres Alters benachteiligt werden, wobei eine unmittelbare Benachteiligung vorliegt, wenn eine Person wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Die am 27. Oktober 1971 geborene und seit 1988 beim beklagten Landkreis beschäftigte Klägerin wollte festgestellt haben, dass ihr in den Jahren 2008 und 2009 und damit schon vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres über den tariflich vorgesehenen Urlaub von 29 Arbeitstagen hinaus jeweils ein weiterer Urlaubstag zugestanden hat. Sie hat gemeint, die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verstoße gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters. Das Arbeitsgericht hat ihrer Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des beklagten Landkreises das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zur Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Klägerin steht für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein weiterer Urlaubstag als Ersatzurlaub zu. Die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD benachteiligt Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar und verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters. Die tarifliche Urlaubsstaffelung verfolgt nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen. Ein gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich auch kaum begründen. Der Verstoß der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD angeordneten Staffelung der Urlaubsdauer gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters kann nur beseitigt werden, indem die Dauer des Urlaubs der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise „nach oben“ angepasst wird, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. März 2010 – 20 Sa 2058/09