Beweislast bei Diebstahl aus einem Kundendienstwagen
BAG 3. Senat, Urteil vom 29.01.1985, Aktenzeichen: 3 AZR 570/82
BGB § 611, BGB § 280, BGB § 282, BGB § 286, BGB § 241, BGB § 305, BGB § 242, BGB § 688, BGB § 675
Leitsatz
1. Wird aus einem Kundendienstwagen durch unbekannte Dritte Gerät entwendet, so trägt der Arbeitgeber in einem Schadenersatzprozeß die Beweislast, wenn er den zuständigen Kundendienstmonteur mit der Begründung in Anspruch nimmt, dieser habe das Fahrzeug nicht ordnungsmäßig abgeschlossen.
Fundstellen
BlStSozArbR 1985, 342-342 (Gründe)
DB 1985, 2565-2565 (Leitsatz 1 und Gründe)
ARST 1985, 190-191 (Gründe)
EzA § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr 41 (Leitsatz 1 und Gründe)
NZA 1986, 23-24 (Leitsatz 1 und Gründe)
NJW 1986, 865-866 (Leitsatz 1 und Gründe)
ARST 1986, 90-91 (Leitsatz 1 und Gründe)
AP Nr 87 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (Leitsatz 1 und Gründe)
AR-Blattei Haftung des Arbeitnehmers Entsch 112 (Leitsatz und Gründe)
AR-Blattei ES 870 Nr 112 (Leitsatz und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend LArbG Frankfurt 22. September 1982 10 Sa 66/82
vorgehend ArbG Frankfurt 29. September 1981 4 Ca 120/81
Diese Entscheidung wird zitiert von
BAG 22. Mai 1997 8 AZR 562/95 Vergleiche
AP Nr 87 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, Baumgärtel, G (Anmerkung)
AR-Blattei Haftung des Arbeitnehmers Entsch 112, Mayer-Maly, Theo (Anmerkung)
AP Nr 87 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, (Baumgärtel) (Anmerkung)
Langtext
Tatbestand
Der Beklagte ist seit 13. August 1979 bei der Fr Niederlassung der Klägerin als Fernsehtechniker im Außendienst beschäftigt. Am Nachmittag des 6. November 1979 war er mit dem firmeneigenen VW-Bus zu Kundenbesuchen unterwegs. In dem Wagen befand sich außer Werkzeugen und Ersatzteilen ein Video-Recorder, der einem Kunden in der O.straße ausgeliefert werden sollte. Der Beklagte besuchte zunächst einen anderen Kunden in der N.straße. Von dort aus fuhr er in die G.straße, wo er ca. zwei Stunden lang mit einer Reparatur beschäftigt war. Gegen 16.45 Uhr kam er in der O.straße an. Als er dort die Heckklappe des Wagens öffnete, stellte er fest, daß der Video-Recorder fehlte. Die herbeigerufene Polizei konnte keine Spuren von Gewalteinwirkung feststellen.
Nachdem die Diebstahlversicherung der Klägerin den Haftungseintritt ablehnte, nahm die Klägerin den Beklagten auf Zahlung des entstandenen Schadens in Höhe von 1.605,90 DM in Anspruch. Sie hat behauptet, der Diebstahl sei darauf zurückzuführen, daß der Beklagte das Fahrzeug nicht ständig verschlossen gehalten habe.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.605,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1980 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat vorgetragen, das Fahrzeug sei während des ganzen Nachmittags, jedenfalls aber in der N.straße, wo das Gerät nach der Aussage eines 5-jährigen Jungen von zwei älteren Jungen entwendet worden sei, verschlossen gewesen. Der den Diebstahl aufnehmende Polizeibeamte, der Zeuge J, habe es abgelehnt, Fingerabdrücke zu nehmen und das Schloß der Heckklappe des Fahrzeuges kriminaltechnisch untersuchen zu lassen. Der Klägerin sei vorzuwerfen, daß sie keinerlei Vorkehrungen zur Sicherung des Fahrzeugs getroffen habe, obwohl ihr das Diebstahlsrisiko bewußt gewesen sei. Das ergebe sich aus dem Abschluß einer Diebstahlversicherung und aus früheren Diebstahlsvorgängen in der Frankfurter Zweigniederlassung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr in Höhe eines Drittels des Klagebetrags stattgegeben. Mit seiner Revision wehrt sich der Beklagte weiter gegen den Schadenersatzanspruch. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlußrevision den Klageantrag weiter, soweit das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen hat; Zinsen begehrt sie jedoch nur noch seit dem 1. Mai 1981.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte haftet nicht für den Verlust des Video-Recorders. I. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte nicht aufgrund einer Mankoabrede für den Verlust einzustehen hat.
Wegen der auch im Arbeitsrecht herrschenden Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB) ist eine Mankoabrede grundsätzlich zulässig, wenn sie eine sinnvolle, den Eigenarten des Betriebs und der Beschäftigung angepaßte Beweislastverteilung enthält oder eine vom Verschulden des Arbeitnehmers unabhängige Haftung für Fehlbeträge darstellt, die in seinem Arbeits- und Kontrollbereich aufkommen (vgl. BAG AP Nr. 67 zu § 626 BGB; AP Nr. 4 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Die Klägerin hat jedoch nicht behauptet, eine solche Vereinbarung mit dem Beklagten ausdrücklich getroffen zu haben. Sie ist auch nicht stillschweigend zustande gekommen. Allein die Art der Beschäftigung des Klägers berechtigt nicht zu diesem Schluß. Die Wirksamkeit einer Mankoabrede setzt voraus, daß dem erhöhten Risiko des Arbeitnehmers ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich gegenübersteht (vgl. BAG AP Nr. 4 und 54 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dafür, daß ein solcher vereinbart gewesen sei, hat die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen.
II. Der Beklagte haftet auch nicht deshalb auf Schadenersatz, weil ihm die Herausgabe des Videogeräts infolge eines Umstands unmöglich geworden ist, den er zu vertreten hätte (§ 280 Abs. 1 BGB).
Der Arbeitnehmer haftet für eingetretene Fehlbestände, wenn ihm ein Kassen- oder Warenbestand in der Weise übertragen wurde, daß er allein Zugang zu ihm hatte und selbständig darüber disponieren konnte. War seine Tätigkeit mit wirtschaftlichen Überlegungen und Entscheidungen verbunden, so gelten neben den arbeitsvertraglichen Bestimmungen die Vorschriften über die Verwahrung (§ 688 BGB) und den Auftrag (§§ 675, 663, 665 bis 670, 672 bis 674 BGB). Der Arbeitgeber hat darzulegen und zu beweisen, daß er dem Arbeitnehmer bestimmte Waren zur eigenen Verwaltung übertragen hat. Der Arbeitnehmer ist bei der Abrechnung zur Herausgabe der erhaltenen Gegenstände oder ihres wirtschaftlichen Surrogates (§ 667 BGB) verpflichtet. Ist er hierzu nicht in der Lage, ist ihm die Leistung also unmöglich (§ 280 BGB), so hat er sich zu entlasten. Er muß darlegen und beweisen, daß ihn an der Entstehung des Mankos kein Verschulden trifft (vgl. BAG AP Nr. 49 und 54 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten, soweit er Werkzeug und Geräte mitzuführen hatte, keine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit übertragen, die die Anwendung dieser Haftungsgrundsätze rechtfertigte. Bezüglich der ihm anvertrauten Sachen kamen für ihn wirtschaftliche Überlegungen und Entscheidungen nicht in Betracht. Die Werkzeuge hatte er für seine handwerkliche Tätigkeit als Fernsehmonteur zu benutzen. Mitgeführte Geräte hatte er den Kunden zu überbringen. Insoweit war er Bote, nicht aber wirtschaftlich selbständig Handelnder. Darin unterschied er sich von einem Verkaufsfahrer, dem zu Beginn der Fahrt eine bestimmte Warenmenge übergeben wird, die er umsetzen und über deren Verbleib er nach seiner Rückkehr Rechnung legen soll. Wirtschaftlich selbständig tätig wurde der Beklagte nur, soweit er für die bei den Kunden durchgeführten Arbeiten Reparaturzeiten festzusetzen, Arbeitspreise zu berechnen und Gelder einzuziehen hatte. Um diesen Bereich der Tätigkeit des Beklagten geht es jedoch vorliegend nicht.
III. Auch eine Haftung des Beklagten wegen positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) scheidet aus.
1. Als Arbeitnehmer war der Beklagte verpflichtet, die ihm vom Arbeitgeber überlassenen Werkzeuge, Materialien und Geräte sicher zu verwahren. Der Umfang dieser Pflicht bestimmte sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), insbesondere nach den Möglichkeiten, die ihm die Art seiner Tätigkeit bot.
Die arbeitsvertraglichen Aufgaben des Beklagten erforderten, daß dieser, wenn er in den Wohnungen der Kunden Reparaturen ausführte, den VW-Bus – oft stundenlang – auf öffentlichen Straßen unbeaufsichtigt stehen lassen mußte. Seiner arbeitsvertraglichen Sorgfaltspflicht genügte der Beklagte dadurch, daß er den Wagen während dieser Zeit ordnungsgemäß verschlossen hielt. Kam es dennoch zu einem Diebstahl durch Dritte, so ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen, daß er den Schaden nicht abwenden konnte.
2. Es ist nicht festgestellt, daß der Beklagte seine Pflicht, den Wagen verschlossen zu halten, verletzt hätte. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, bezüglich der Frage, ob der Beklagte Türen, Fenster und Heckklappe ständig verschlossen gehalten hat, bestehe ein völlig unklares Beweisergebnis. Dies hat die Klägerin nicht mit Revisionsrügen angegriffen.
3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind die Folgen dieser Beweislosigkeit nicht vom Beklagten, sondern von der Klägerin zu tragen. Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen ist es Sache des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung nachzuweisen, wenn er ihn auf Schadenersatz wegen Schlechterfüllung in Anspruch nehmen will. Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes.
Soweit das Landesarbeitsgericht demgegenüber auf den Gesichtspunkt der Beweisnähe verweist und den Schadensfall zum Gefahrenbereich des Beklagten rechnet, ist ihm nicht zu folgen. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß der Beklagte den ständigen Verschluß des Fahrzeugs ebensowenig nachweisen kann, wie die Klägerin das Gegenteil. Von einer größeren Beweisnähe des Beklagten kann somit keine Rede sein. Ebensowenig sprechen die Grundsätze, die der Senat in der Entscheidung vom 28. Juli 1972 (- 3 AZR 468/71 – AP Nr. 7 zu § 282 BGB) aufgestellt hat, für eine Beweislast des Beklagten. In diesem Urteil hat der Senat angenommen, auch im Arbeitsvertragsrecht gelte in analoger Anwendung des § 282 BGB der Grundsatz, daß derjenige Vertragsteil, von dem wegen einer Vertragspflichtverletzung Schadenersatz verlangt werde, die Beweislast für sein Nichtvertretenmüssen trage, wenn die Schadensursache in seinem Gefahrenbereich liege. Dieser Grundsatz betrifft jedoch allein das Verschulden. Bezüglich des objektiven Tatbestandes der Vertragspflichtverletzung, der hier streitig ist, bleibt es bei der Beweislast des Geschädigten. Dies hat der Senat in der vorgenannten Entscheidung ausdrücklich klargestellt und sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Dienst- und Werkvertragsrecht berufen.
Schließlich hilft der Klägerin auch keine Beweiserleichterung aus dem Gesichtspunkt des ersten Anscheins. Wie das Arbeitsgericht und die Revision zu Recht ausgeführt haben, gibt es im Hinblick auf die Vielfalt der Diebstahlsmethoden keine tatsächliche Vermutung dafür, daß ein Fahrzeug, aus dem etwas gestohlen wurde, unverschlossen war. Anhaltspunkte hätte nur eine kriminaltechnische Untersuchung ergeben können, zu der die Polizei jedoch keinen Anlaß sah.